Einsam verstorben, anonym beigesetzt: Sozialbegräbnisse in Wien
 
            
            7.20 Uhr, die Sonne geht in Kürze über dem Osten des Wiener Zentralfriedhofs auf. Vor dem Friedhof fährt ein 71er in die Haltestelle ein. Allerheiligen rückt näher. In der Aufbahrungshalle 3 am stadtauswärtigen Ende des riesigen Friedhofsareals geht in dieser Minute ein wenig festliches Licht an.
Kurz aufgebahrt wird hier der Leichnam einer Frau aus Wien, die im Jahr 1956 geboren wurde und deren Leichnam nicht viel wiegt. Ihr Gewicht interessiert nur die drei Mitarbeiter, die für die Bestattung Wien tätig sind. Beim nun beginnenden Sozialbegräbnis werden sie buchstäblich eine tragende Rolle übernehmen.
 
            
            
            Während der Organist nur kurz anspielt, schreiten die Träger zum Sarg.
Ungebetene Gäste
War die Frau wohnungslos? Alleinstehend? Verheiratet? Irgendwann in ihrem Leben glücklich? Unglücklich? Arm? Hatte sie Familie? Kinder? Solche und weitere Fragen hat das Künstlerkollektiv „Darum“ 2019 bei seiner preisgekrönten Performance „Ungebetene Gäste“ gestellt. Die Bestatter haben darauf keine Antworten. Für ihre Arbeit sind sie nicht relevant.
Auf den rustikalen, aber nicht unhübschen Sarg aus Weichholz haben sie mit Sorgfalt eine rote, eine weiße und eine rote Nelke gelegt: die Farben Österreichs. Diese drei Blumen stehen jedem Toten in Wien als Mindest-Wertschätzung zu. Und dazu der routinierte Respekt der drei Pompfüneberer.
 
            
            
            Einsam nach dem Tod: Düsteres Licht in Aufbahrungshalle 3.
„Das ist die Anonymität der Stadt“, sagt Alexander Bancsich kurz vor Beginn des Sozialbegräbnisses. Seit 18 Jahren ist der Burgenlandkroate als Bestatter in Wien tätig. Das frühmorgendliche Verabschieden von Toten, die anderen nicht abgehen, ist Teil seines Jobs. Auch er macht sich Gedanken, wenn wieder jemand wochenlang unentdeckt bei sich zu Hause tot angetroffen wurde.
Oft erlaubt akute Armut kein bezahltes Begräbnis. Es gibt aber auch Menschen, die der Tod von ihrer – aus welchen Gründen auch immer – brutalen Einsamkeit erlöst. Meint Alexander Bancsich: „Diese Menschen hatten es wohl nicht leicht im Leben.“
Der am „Zentral“ tätige Bestatter hat auch schon „den einen oder anderen Herrn Doktor-Doktor“ im Billigsarg zu Grabe getragen. „Einmal hatten wir sogar eine Dame aus Tschechien, von der erzählt wurde, dass sie zu Lebzeiten einen Literaturpreis gewonnen hat.“
10.000 Bestattungsleistungen wickelt die Bestattung Wien pro Jahr ab. Neben 8.000 Bestattungen unter anderem Auslandsüberführungen oder Aufbahrungen bei öffentlichen Begräbnissen.
1.000 Sozialbegräbnisse finden in Wien weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Wenige Takte Musik
Der Organist spielt wenige Takte Musik, während der 500-Euro-Sarg aus Halle 3 in den langsam dämmernden Simmeringer Morgen hinaus geschoben wird. Einzig ein Rabe scheint davon Notiz zu nehmen. Maximal drei, vier Minuten dauert sodann die geräuscharme Fahrt mit dem schwarzen Elektromobil zum Armengrab – das ist die mit Abstand längste Phase des kühlen Zeremoniells.
Für die Armen von Wien ist heute – anders als früher – kein eigener Bereich am Zentralfriedhof vorgesehen. Sie werden dort begraben, wo gerade erst ein Grab frei geworden ist, weil etwa die Nachfahren von Verstorbenen die Friedhofsgebühren nicht länger bezahlt haben.
 
            
            
            René Fellner spricht von rund 1.000 Sozialbegräbnissen pro Jahr: "In der Tendenz leicht steigend.“
Von „rund 1.000 Sozialbegräbnissen in einem Jahr“ spricht René Fellner, der die Teams der Bestattung Wien koordiniert. „In der Tendenz leicht steigend.“ Die Sozialbegräbnisse finden grundsätzlich auch in Gemeinden außerhalb Wiens statt: „Weil es in Österreich die Pflicht zur Bestattung gibt.“
Die Begräbniskosten trägt die Gemeinde. Der Sarg, das Hand- und das Sargkreuz, die drei roten Nelken, die drei Sargträger, der Organist, die Gedenktafel und weitere penibel aufgelistete Posten ergeben alles in allem eine Summe von fast 1.000 Euro.
 
            
            
            Allein mit der Toten: Zwei Mitarbeiter von „Friedhöfe Wien“ bei der Beisetzung des Sargs.
Bald welken die Nelken
Die drei Nelken liegen noch immer unverrückt als rot-weiß-rote Dekoration oben auf, während der Sarg still vom E-Wagen gehoben wird. Die „Graber“ von „Friedhöfe Wien“ („Totengräber“ soll man nicht mehr schreiben, obwohl sie doch eindeutig Tote unter die Erde bringen) vollenden nun wortlos eine Zeremonie, der einzig der KURIER beiwohnt.
Für die Friedhofsarbeiter selbst macht es immerhin keinen Unterschied, ob nun Angehörige am Grab stehen oder nicht. Einer sagt in die Stille hinein: „Mensch ist Mensch.“
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