Sechsjährige zeigte SOS-Handzeichen: Stiefvater freigesprochen
Unter Blitzlichtgewitter betrat der 39-jährige Angeklagte am Dienstagvormittag den Verhandlungssaal im Wiener Landesgericht. Nicht alle Journalistinnen und Journalisten fanden in dem kleinen Raum Platz.
Der Mann musste sich wegen schwerer Nötigung und Freiheitsentziehung verantworten. Ausgangspunkt der Causa war ein zunächst harmlos erscheinender Verkehrsunfall am 30. November am Neubaugürtel, bei dem der 39-jährige Iraker keinen Führerschein vorweisen konnte.
Bei näherer Kontrolle fand die Polizei damals auch eine verängstigte Frau und zwei kleine Kinder auf der Rückbank des Autos. Ein sechsjähriges Mädchen zeigte den Beamten das SOS-Handzeichen, wodurch es selbst, sein Geschwisterchen und die Mutter zur Seite genommen wurden. Der Mann wurde daraufhin festgenommen und wegen Freiheitsentziehung und Nötigung angeklagt.
Die Staatsanwältin schilderte am Dienstag noch einmal detailliert, was sich am 30. November ereignet hat: "Die Ex-Frau des Angeklagten war gerade am Weg zum Trafikautomat, als er sie abgepasst hat. Er hat ihr einen spitzen Gegenstand an den Hals gehalten und sie genötigt, in das Auto zu steigen." Dann sei er "wie ein Wilder" durch die Stadt gerast und habe dabei "wenig überraschend" einen Unfall verursacht.
Strafe wegen Urkundenfälschung
Der Unfallgegner alarmierte dann die Polizei. Auch ein Polizist, der bei der Amtshandlung zugegen war, war am Dienstag als Zeuge geladen. "Der Mann konnte sich nicht mit einem Führerschein ausweisen, sondern nur eine Bescheinigung vorzeigen, dass ihm sein Führerschein gestohlen worden war", berichtete der Beamte. Eine Abfrage im internen System ergab jedoch, dass der Mann nie einen Führerschein besessen hatte. Vielmehr wurde der 39-Jährige im Jahr 2019 wegen Urkundenfälschung verurteilt.
Nicht nur der fehlende Führerschein, auch das Verhalten des Irakers machte die Beamten stutzig. "Er hat die ganze Zeit das Fahrzeug umkreist, als wollte er jemanden am Aussteigen hindern", schilderte der Beamte. Aus diesem Grund hielten die Beamten auch Nachschau. Und wurden fündig: Auf der Rückbank saß die Ex-Frau des Mannes, mit ihrer sechsjährigen Tochter und einem 6 Monate alten Baby. Der Säugling ist das gemeinsame Kind des 39-Jährigen und seiner ehemaligen Lebensgefährtin.
"Ex-Mann hat das Mädchen beeinflusst"
Das Mädchen zeigte den Polizisten das SOS-Handzeichen, die Mutter gab schließlich unter Tränen an, von ihrem Ex-Mann entführt worden zu sein. Dies bestritt der Angeklagte am Dienstag vor Gericht vehement. Er selbst habe die Polizei nach dem Unfall rufen wollen, er könne Beweise vorlegen, dass die Version seiner Ex-Frau nicht stimme. Auf die Frage der Richterin, warum das Mädchen im Auto das Notzeichen gemacht hätte, sagte er: „Ich glaube, dass der Ex meiner Frau sie beeinflusst hat, dieses Handzeichen zu machen.“
Bereits eine Woche vor dem Unfall habe das Mädchen das Zeichen im Supermarkt gemacht, schilderte der Angeklagte. Bis dahin habe er das Handzeichen nicht gekannt. "Das Jugendamt hat ihr das wohl beigebracht", sagte der 39-Jährige.
In Österreich finden Frauen, die Gewalt erleben, unter anderem Hilfe und Informationen bei folgenden Adressen:
- Frauen-Helpline: online unter frauenhelpline.at und telefonisch unter 0800-222-555
- Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF): online unter aoef.at
- Frauenhaus-Notruf: unter 057722
- Österreichischen Gewaltschutzzentren: 0800/700-217
- Polizei-Notruf: 133
Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums. Auf der Webseite finden sich Kontaktdaten von Hilfseinrichtungen in Österreich.
Auch die Ex-Frau des Mannes war am Dienstag als Zeugin geladen, machte jedoch von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Dadurch dürfen auch alle früheren Aussagen der Frau vonseiten des Gerichts nicht mehr verwertet werden dürfen. Auch das sechsjährige Kind, das per Videoschaltung befragt wird, wollte keine Fragen beantworten.
"Halte Ihre Aussagen für unglaubwürdig"
Die Richterin sprach den Angeklagten demnach frei. "Aber nicht, weil ich Ihnen glaube, sondern weil die Gesetzgebung uns keine andere Möglichkeit lässt. Ich halte ihre Aussagen für absolut unglaubwürdig", betonte die Richterin. Das Urteil ist rechtskräftig.