SOS-Handzeichen: Wenn ein Notruf zu gefährlich ist
Die mutige Geste eines sechsjährigen Mädchens und ein aufmerksamer Beamter verhinderten am Sonntagabend Schlimmeres: Ein 39-jähriger Iraker wollte offenbar seine von ihm getrennt lebende Frau und ihre zwei Kinder entführen.
Gegen den Mann, er ist der leibliche Vater des Säuglings, gab es bereits ein Betretungsverbot. Dieses wurde im vergangenen Jahr verlängert. Jetzt hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gegen den Iraker ein Aberkennungsverfahren eingeleitet. Der Mann sitzt in Untersuchungshaft.
Ausgangspunkt des Falles war ein Verkehrsunfall am Sonntagabend am Neubaugürtel: Im Zuge einer Fahrzeugkontrolle fiel einem Beamten das SOS-Handzeichen auf, das das sechsjährige Mädchen auf der Rückbank des Autos zeigte – und sich selbst, die Mutter und einen Säugling so vor einer Entführung rettete.
"In Grundausbildung gezielt vorbereitet"
Ein Zeichen, auf das die heimischen Behörden gut geschult werden, wie ein KURIER-Rundruf zeigt. „Unsere Beamtinnen und Beamten werden in der Grundausbildung und im Zuge von jährlichen Fortbildungen gezielt darauf vorbereitet, unterschiedliche Signale auch nonverbal von Gewaltopfern zu erkennen und insbesondere im jeweiligen Kontext zu bewerten“, sagt ein Sprecher der Wiener Polizei.
Der gestrige Einsatz sei ein gutes Beispiel für das umsichtige Einschreiten der Polizei. „Außerdem finden laufend Kampagnen verschiedener Stakeholder zu Prävention und Sensibilisierung im Bereich des Gewaltschutzes und der Früherkennung von Gewalt in der Privatsphäre statt“, betont der Sprecher.
Die ÖBB nehmen aufgrund des aktuellen Vorfalls jetzt internationale Handzeichen fix in ihre Schulungen und Ausbildungen auf.
Arbeitspsychologe schult
Auch bei den Wiener Linien werden die Mitarbeiter auf nonverbale Signale vorbereitet, heißt es auf Anfrage: „Sicherheit für Frauen und die richtige Reaktion auf Vorfälle sind fixer Bestandteil der Ausbildung dieser Mitarbeiter. Sie werden von unserer Arbeitspsychologie intensiv auf Anzeichen von Gewaltsituationen geschult, darunter selbstverständlich auch auf das SOS-Handzeichen.“
„Wertvolles Werkzeug“
Bei den Wiener Frauenhäusern sind die Handzeichen kein fixer Bestandteil der Beratungen mit den Frauen. „Das Handzeichen im Speziellen kann aber ein wertvolles Werkzeug darstellen, um Außenstehende auf eine Akutsituation aufmerksam zu machen und Hilfe zu erhalten“, sagt dazu eine Sprecherin der Wiener Frauenhäuser. Und betont gleichzeitig, dass häusliche Gewalt in den meisten Fällen in den eigenen vier Wänden und nicht in der Öffentlichkeit passiert.
Mehr Bewusstsein in der Bevölkerung wünscht sich auch Klaudia Frieben vom Österreichischen Frauenring: „Wir haben das Handzeichen auf Social Media gepostet. So wollen wir die Menschen für diese Geste sensibilisieren.“ Sie sei überzeugt, dass die Handzeichen bei den Behörden in Österreich bekannt seien, nicht unbedingt aber bei den Betroffenen selbst. „Es ist wichtig, dass das Zeichen weiter verbreitet wird. Ich könnte mir da auch Kampagnen vorstellen, dass man diese internationalen Handzeichen so bewirbt wie die Hotlines, bei denen sich Opfer von Gewalt melden können“, sagt Frieben.
Jugendliche rief in Bim um Hilfe
Zwei Fälle zeigten im heurigen Jahr bereits auf, wie wichtig es ist, das internationale Handzeichen zu erkennen und dementsprechend zu handeln. Eine 14-Jährige wurde im Februar von Jugendlichen in Innsbruck attackiert. Die Angreiferinnen malträtierten sie an mehreren Orten mit Fußtritten gegen den Oberkörper und Schlägen ins Gesicht und verletzten sie dabei. In einer Straßenbahn machte das Opfer mit dem SOS-Handzeichen auf sich aufmerksam. Ein Fahrgast verstand die Geste und rief die Polizei.
Ein anderer Fall kam im September ans Licht: So dürfte eine Frau aus dem Industrieviertel ein halbes Jahr lang von ihrem Freund bedroht und geschlagen worden sein. Sie besaß kein eigenes Mobiltelefon, das hatte ihr Partner zerstört. Bei einem Ausflug machte die Frau auf einem Parkplatz mit dem Handzeichen auf sich aufmerksam. Ein achtsamer Passant bemerkte das Zeichen und reagierte gleich: Er merkte sich das Kennzeichen des Pkws und verständigte den Polizeinotruf.
In Österreich finden Frauen, die Gewalt erleben, unter anderem Hilfe und Informationen bei folgenden Adressen:
- Frauen-Helpline: online unter frauenhelpline.at und telefonisch unter 0800-222-555
- Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF): online unter aoef.at
- Frauenhaus-Notruf: unter 057722
- Österreichischen Gewaltschutzzentren: 0800/700-217
- Polizei-Notruf: 133
Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums. Auf der Webseite finden sich Kontaktdaten von Hilfseinrichtungen in Österreich.
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