Ein antisemitischer Angriff mitten im Herzen von Wien, nachdem die Regierung erst am Mittwoch die Terrorwarnstufe in Österreich auf die zweithöchste angehoben hatte. Zuletzt war dies 2020 nach dem Terroranschlag in der Hauptstadt der Fall gewesen.
Die Frage bleibt: Wo waren die Soldaten, die erst in dieser Woche zum Schutz jüdischer Einrichtungen angekündigt worden waren? Die rund um die Uhr, sieben Tage der Woche abgestellt werden sollten.
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Und: Wo war die Wiener Polizei? Bzw. fühlte sich diese für einen erhöhten Schutz für Wiens Synagogen und Gebetshäuser überhaupt zuständig?
E-Mails, die der KURIER kennt, belegen: Nein.
Das Protokoll einer Fehleinschätzung.
Es ist der 12. Oktober, fünf Tage nach dem Angriff der islamistischen Terrormiliz Hamas auf Israel, als vom Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) im Auftrag der DSN (Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst) eine E-Mail ergeht.
Der Inhalt frei wiedergegeben: Alle Synagogen und Gebetshäuser in Wien seien durchgehend zu bewachen. Vorerst von Freitag auf Samstag. Dies bestätigt die LPD auch in einer Klarstellung, die Sonntagnachmittag ergeht.
Alles, wie vorher
Einen Tag später antwortet die Landespolizeidirektion Wien (LPD)im Auftrag ihres Landespolizeipräsident, Gerhard Pürstl, sinngemäß so: Die LPD widerruft die permanente Überwachung. Alle Maßnahmen seien auf den Überwachungsmodus wie vor dem Hinweis des Geheimdienstes zurückzusetzen.
Der höchste Polizist Wiens widersetzt sich der Empfehlung des Geheimdienstes. Weisungsgebunden ist er, das sei hier erwähnt, nur dem Innenministerium.
Hier sieht die LPD einen anderen Sachverhalt gegeben: Denn die Maßnahme, so heißt es in der Klarstellung sei am Freitagvormittag so abgeändert worden, dass der Schutz von Menschen über jenen von Gebäuden gestellt worden sei.
"Diese Maßnahme erfolgte selbstverständlich im Einvernehmen mit den Verantwortlichen der DSN und den vorgesetzten Dienststellen im BMI. Es kann also keine Rede von einer Widersetzung sein“, heißt es weiter.
E-Mails sollen dazu keine vorliegen.
Fünf Tage später, wird die Regierung in Form von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP), DSN-Chef Omar Haijawi-Pirchner und Wiens Militärkommandanten Kurt Wagner vor die Presse treten und die Terrorwarnstufe auf "hoch" anheben. Es fallen Sätze wie: 190 „besonders geschulte Kräfte“ des Bundesheers sollen „überwiegend zum Schutz jüdischer Einrichtungen“ in Wien eingesetzt werden.
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Der Innenminister kündigte darüber hinaus eine verstärkte sichtbare Polizei-Präsenz vor jüdischen Einrichtungen an. Oft fällt: Twentyfour-Seven. 24 Stunden, 7 Tage die Woche.
Am Samstag, gegen 2 Uhr, ist bei der Attacke auf die Fahne Israels in der Seitenstettengasse niemand da.
Hinweis vor Attacke auf fehlende Bewachung
Auf X (vormals Twitter), empört der fehlende Schutz des Wiener Stadttempels die Menschen bereits am Freitag, um 23 Uhr - drei Stunden vor der Attacke:
"Warum, verdammt noch mal, ist kein einziger Polizist/Soldat zu sehen? @LPDWien.
Die Landespolizeidirektion antwortet 11 Stunden später: "Die von Ihnen beschriebenen Objekte werden zu den Öffnungszeiten/Gebetszeiten von unseren Kolleg*innen überwacht."
Zum antisemitischen Angriff ist es zum Zeitpunkt der X-Antwort der LPD Wien bereits gekommen. Von 24 Stunden an sieben Tagen der Woche ist keine Rede mehr.
Erst am Sonntag heißt es dann offiziell: Seit Samstag wird der Stadttempel rund um die Uhr bewacht. Nach der Attacke.
Pürstl: "Ermittlungen laufen auf Hochtouren"
Am Sonntagnachmittag äußert sich auch Landespolizeipräsident Pürstl: "Die Wiener Polizei nimmt die derzeitige herausfordernde Sicherheitslage mehr als ernst und steht stets in engster Abstimmung mit den für Staatsschutz und Nachrichtendienst Verantwortlichen und den mit Sicherheitsfragen befassten Personen der israelitischen Kultusgemeinde. Die Ermittlungen des LVT Wien zu dem inakzeptablen Vorfall vom Samstag früh laufen auf Hochtouren."
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