"Doktorspiele" in Jugend-WG: Vater erhebt Vorwürfe gegen Amt
Anna F. sei ein fröhliches Mädchen. Spricht ihr Vater über sie, fallen Worte wie aufgeweckt, lebenslustig. Doch es sind auch andere Begriffe, die im Gespräch mit Jürgen F. auftauchen. Begriffe, die mit Missbrauch zu tun haben.
Anna F. und Jürgen F. heißen nicht wirklich so. Doch für ihren eigenen Schutz wurde an dieser Stelle ihr Name geändert. Jürgen F. erhebt schwere Vorwürfe gegen die Wiener Kinder- und Jugendhilfe, die MA11.
Seine Tochter Anna, die seit August vergangenen Jahres in einer betreuten Wohngemeinschaft in Wien lebt, sei dort von einem Zehnjährigen belästigt worden.
Lehrerin informiert
Anfang Oktober wandte sich die Achtjährige selbst an eine Lehrerin an ihrer Schule und berichtete von Vorfällen. Diese informierte eine Betreuerin der WG, in der Anna wohnte. Der Vater erfuhr am 15. Oktober davon. „Als ich meine Tochter fragte, was passiert sei, erzählte sie mir, dass der Bub, mit dem sie sich bis vor ein paar Monaten das Zimmer geteilt hat, ihr wehgetan hat“, schildert der 46-Jährige.
Konkret soll es in den vergangenen fünf Wochen zu sieben bis acht Übergriffen im Intimbereich gekommen sein. Konfrontiert mit den Vorwürfen, bestätigt die Kinder- und Jugendhilfe diese zum Teil. Schränkt aber ein, dass es in einem Fall zu „leichter Grenzüberschreitung beim Spielen“ gekommen sei, sagt Andrea Friemel, Sprecherin der MA11. Das ergab auch ein psychologisches Gutachten, das man in Auftrag gegeben hatte, betont Friemel.
Grenzüberschreitung
Als sexuelle Belästigung würde sie den Vorfall nicht bezeichnen. „Kinder in diesem Alter entwickeln oft eine sexuelle Neugierde. Man muss sich die Frage stellen, wo Doktorspiele aufhören, und Grenzüberschreitung anfängt“, erklärt Friemel. Auf keinen Fall dürfe man „das gegenseitige körperliche Entdecken kriminalisieren“. „Dass sich Kinder angreifen oder ihre Geschlechtsteile zeigen, ist okay, solange Grenzen gewahrt werden“, betont sie.
Doch genau diese Grenzen sollen bei der Achtjährigen einmal deutlich überschritten worden sein. Denn Anna F. soll bereits in ihrer Vergangenheit Opfer sexueller Gewalt geworden sein. Das Mädchen kam nach Angaben des Vaters überhaupt erst in die Obhut der Kinder- und Jugendhilfe, weil sie vom Exfreund seiner damaligen Freundin missbraucht worden sein soll.
„Umso schlimmer ist es, dass meine Tochter nun erneut solche traumatischen Erfahrungen erleben musste, in einer Umgebung, die eigentlich sicher sein sollte“, erhebt der 46-Jährige schwere Vorwürfe.
Die Übergriffe innerhalb der Familie sollen laut Jürgen F. vor zwei Jahren passiert sein. Er habe daraufhin die Kinder- und Jugendhilfe eingeschaltet. „Sie haben Anna dann zur Untersuchung ins Spital geschickt“, schildert er. Bereits damals sollen Jürgen F. Sozialarbeiter der MA11 von einer Anzeige abgeraten haben. Was ihm nun erneut vonseiten der Kinder- und Jugendhilfe nahegelegt worden sei, sagt F.: „Mir wurde geraten, keine Anzeige zu erstatten und abzuwarten.“
Die MA11 erklärt dies mit dem Alter der Betroffenen. „Es geht in dem Fall um ein Kind, das gerade einmal zehn Jahre alt ist. Wir wollen vermeiden, dass aus einer Grenzüberschreitung ein triebhaft kriminelles Verhalten abgeleitet wird“, sagt Friemel. Deshalb habe man dem Vater von einer Anzeige abgeraten. Jürgen F. kam diesem Rat nicht nach. Am 18. Oktober ging er zur Polizei.
Präventiv-Maßnahmen
Mittels Schulungen für die Kinder und Mitarbeiter der WG wolle man nun den Fokus auf das Thema Grenzüberschreitung legen, so Friemel. Anna F. und jener Bub, der für die Übergriffe verantwortlich sein soll, werden zudem psychotherapeutisch betreut. Die Pädagogen in der betroffenen WG sowie ein speziell abgestellter „Nachtdienst“ sollen dafür sorgen, dass die zwei Kinder nicht mehr allein in einem Raum sind.
In einem Fallgespräch, das für 14. November anberaumt ist, soll über die Zukunft von Anna entschieden werden. Der Vater erhofft sich von dem Treffen vor allem eines: Endlich ein sicheres Zuhause für seine Tochter.
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