Zu Gast im "s‘Eckbeisl": Vom verrauchten Trinkertreff zum tadellosen Wirtshaus

von Achim Schneyder
Es gibt Wirtshäuser, in die stolpert man mehr oder weniger zufällig. Etwa dann, wenn die zuvor angesteuerte Gaststätte wegen eines plötzlichen Rohrbruchs geschlossen hat, man den Heimatbezirk aber nicht verlassen möchte und Lust auf ein Schnitzel hat. Und dann fällt einem jenes Wirtshaus ein, an dem man schon so oft vorbeigefahren, bis dato aber nie reingegangen ist. So bin ich im Eckbeisl gelandet.
Dieses befindet sich, wie der Name schon sagt, an einem Eck. Dort, wo Gatterburggasse und Kreindlgasse sich kreuzen. Wien 19, Döbling also. Das Haus als solches ist ziemlich scheußlich, was daran liegt, dass das Vorgängergebäude im Zweiten Weltkrieg niedergebombt wurde und die finanziellen Mittel für den Wiederaufbau überschaubar waren.
Die inneren Werte
Aber das Wirtshaus, das hat Charme. Wie auch die Wirtin. „Hier schaut‘s fast noch genauso aus wie damals, als der Betrieb nach dem Krieg im neuen Gebäude wiedereröffnet wurde. Wieder deshalb, weil‘s das Gasthaus vorher auch schon gegeben hat. Angeblich seit 1930, aber so ganz genau weiß das keiner mehr“, erzählt Claudia Neubauer, seit November 2013 Herrin über das Eckbeisl, das vor dem Krieg als „Gasthaus Zum Goldenen Adler“ bekannt war.
Und hier sitze ich nun. Aus einer Box nahe der bald 80 Jahre alten Schank rinnt jazzige Barmusik, aus dem Zapfhahn kühles Bier, vor mir auf dem Tisch liegt die Speisekarte und die Wirtin hat Zeit für einen Plausch. „Zwischen Mittags- und Abendg‘schäft ist‘s immer ein bisserl ruhiger.
Was darf‘s denn sein?“ „Das Bier hab ich schon beim Kellner bestellt, in Sachen Essen bin ich noch ratlos“, sage ich. Der ursprüngliche Gusto aufs Schnitzel ist nämlich so gut wie verflogen, ob der kulinarischen Vielfalt, denn hier locken nicht zuletzt auch innere Werte.

Ein wahres Gedicht: Hasenkeule in Wacholderrahmsoße mit Palffyknödel
Hasenkeule und Palffyknödel
Gebackenes Hirn etwa, glasierte Kalbsleber oder geröstete Schweinsniernd‘ln. Auch diverse Cordon Bleus hat die Chefin im Angebot, darunter eines in der Sesampanade mit einer Fülle aus Blattspinat, Schafkäse und Beinschinken. Oder Bries, Blunzenrad‘ln, Eiernockerl und g‘röstete Knödel.
„Wissen Sie was, ich nehme die Hasenkeule in der Wacholderrahmsoße. Aber statt der Kroketten in der Mandelhülle hätte ich gern den Palffyknödel, der beim Rehgulasch dabei wäre. Geht das?“ „Gerne, kein Problem“, sagt sie. „Und der Kellner ist übrigens mein Sohn Markus, auch ein g‘lernter Restaurantfachmann. Er wird mal von mir übernehmen.“
„Früher“, erzählt sie wenig später, „war der Regisseur Franz Antel hier Stammgast, aber das war vor meiner Zeit. Zu mir ist dann seine Witwe gekommen, die Sibylla, eine ziemlich feine Dame, hat immer mit Zigarettenspitz g‘raucht.“ Antels Witwe starb 2016.
Haubenküche statt Trinkertreff
Das war jenes Jahr, in dem die Wirtin – apropos Zigarettenspitz – der Zeit voraus war und jenes generelle Rauchverbot über ihren Betrieb verhängte, das österreichweit erst 2019 Einzug hielt. „Ich musste etwas tun“, sagt sie, „denn in meiner Anfangszeit war das Beisl mehr verrauchter Trinkertreff als Gasthaus, das sich über eine anständige Küche definierte.“
Ein geglückter Schachzug, wie sich bald herausstellen sollte, denn das Niveau stieg in vielerlei Hinsicht und eine neue Stammgastklientel hielt schrittweise Einzug. Dass dieses Beisl 2024 schließlich mit einer Gault&Millau-Haube geadelt wurde, „was ich“, so die Wirtin, „im ersten Moment für einen Scherz g‘halten hab“, gibt Claudia Neubauer zusätzlich Recht. Die Haube wurde heuer bestätigt, und im KURIER-Gasthausguide freizeit.aufgetischt leuchten zwei Kronen.
Wo?
Gatterburggasse 4, 1190 Wien, Tel.: 01/3684344
Wann?
Mo bis Fr 11 bis 23 Uhr, Küche bis 21:30, Sonntag und Feiertag 11 bis 21 Uhr und durchgehend Küche
Was & wie viel?
Täglich Mittagsmenü (Suppe und Hauptgericht 14 oder 16 Euro), diverse Innereien 14,90 bis 18,90, sieben verschiedene Cordon bleu (16,40 bis 18,40 Euro), zusätzlich regelmäßig wechselnde Karte mit saisonalen Schwerpunkten wie Wild oder Spargel. Vegetarische Gerichte.
Warum?
Weil‘s ein Wiener Beisl ist, wie man es – speziell im 19. Bezirk – tatsächlich kaum noch findet. Ab Frühling mit Gastgarten vor dem Lokal auf dem Gehsteig.
Eine gute Basis
Die Wirtin selbst, eine gebürtige Steirerin, die in den späten 1970ern in der Ära von Küchenchef Werner Matt im Wiener Hilton am Stadtpark die Lehre zur Restaurantfachfrau absolvierte, kocht nur privat. Aber ihre Köchin begleitet sie seit dem ersten Tag (und begleitete sie auch in den Jahren zuvor im legendären „Selbstverständlich“ bei der alten WU in der Augasse), ein zweiter Koch kam 2014 dazu.
„Ich hab den beiden dann eine Erstausgabe des 1993 herausgegebenen Kochbuchs: Die gute Küche von Ewald Plachutta und Christoph Wagner in die Hand gedrückt und ihnen gesagt: So will ich‘s haben, das ist die Basis.“
Blättert man durch die Speisekarte und landet auf der letzten Seite, findet sich die Liste der Lieferanten. Und auch die Produkte dieser Damen, Herren und Firmen lassen auf eine Basis schließen, die bei entsprechender Veredelung nur Gutes im kulinarischen Schilde führt. Die Hasenkeule jedenfalls versetzte mich derart ins Glück, dass ich seither fast so etwas wie ein Stammgast bin. Und dem „Wirtshaus zum Rohrbruch“ inzwischen weitgehend untreu.
Am nächsten Sonntag lesen Sie:
Kamolz im Gasthaus Nährer
Der KURIER am Sonntag porträtiert künftig regelmäßig besondere Wirtshäuser – mit Fokus auf die Wirtsleute und Köche, nicht auf die Gastrokritik.
Besondere Autoren
Achim Schneyder und Klaus Kamolz, zwei renommierte Gastro-Journalisten, wechseln einander ab. Der eine wuchs in Salzburg auf, der andere unweit der italienischen Grenze in Kärnten, journalistisch groß wurden beide in Wien.
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