Mayrhofer ist eine erfahrene Restaurantmanagerin und Köchin. Zuletzt betrieb sie, nicht weit entfernt, das „Zuppa“, ein kulinarisch ehrgeiziges Take-Away-Lokal für Büromenschen. „Dann wollte ich aufhören und habe keine Ahnung gehabt, was ich in diesem meinem Leben noch machen möchte.“ Ihren Plan, zunächst einmal in renommierten europäischen Küchen Praktika zu absolvieren, durchkreuzte der Anruf Gaiers; übrigens mit dem Satz: „Des Steindl derf net sterbn.“ Und dann gings rasant: Vertrag – behutsame Renovierung – Eröffnung.
Rückblende
Im Jahr 1975 übernahm die burgenländische Familie Steindl besagtes Beisl. Sohn Sigisbert folgte den Eltern als Wirt und Koch, der jüngere Bruder Reinhard kam später als Kellner dazu. Die Lage, zwischen der eher proletarischen Gürtelgegend und dem akademischen Kosmos AKH und Universität, prägte die bunte kleine Welt des Gasthauses Steindl. Vielleicht gingen ja im Lauf der Jahre das eine oder andere Mal die Fleischlaberl aus, der Schmäh sicher nie. „Gengan’S, Herr Reinhard, noch a Viertl“, hieß es, obwohl man natürlich per Du war. Einmal, als Sigi Geburtstag hatte, montierten die Stammgäste vor der Tür, an der offiziell Hebraschleife genannten Kurve der Straßenbahnlinie 43, ein Schild, auf dem stand: „Sigischleife“. Die Wiener Linien waren not amused.
Aber auch für die Gebrüder Steindl an der Sigischleife stand die Zeit nicht still. 2020 deuteten sie in einem Gastro-Fachblatt an, vielleicht doch einmal in den Ruhestand zu treten. Schon damals kursierten an den alten Tischen Überlegungen, das Gasthaus als Genossenschaft der Stammgäste weiterzuführen. Philipp Gaier und seine Frau Sybille meinten es ernst.
„Im August 2024 haben wir begonnen zu renovieren“, erzählt Köchin und Mitgesellschafterin Heidi Mayrhofer. Die alten Kummete (Zugpferdekrägen) aus Leder, Holz und Eisen, gleichsam die Thujenhecken der Wirtshauskultur, verschwanden als erstes. Im Sumpf, wo einst die Doppler sich abkühlten, stehen jetzt Flaschen mit ehrwürdigen Etiketten aus Wien, Niederösterreich und Burgenland. „Am 16. Oktober haben wir aufgesperrt, und in der Früh war immer noch keine Küche da“, sagt die Küchenchefin. „Sie ist dann arschknapp geliefert worden.“
Das Beste aus zwei Welten
Jetzt steht Heidi Mayerhofer beinahe täglich in der Küche und kocht das Beste aus zwei Welten – einer in der Tradition verwurzelten, rustikalen und einer etwas moderneren mit „ein bisschen Blick über den Tellerrand“, wie sie sagt. Das bedeutet einerseits Schnitzel (vom Kalb und in Schmalz herausgebacken), Fleischlaberl, Schweinsbraten oder Reisfleisch, andererseits Orangen-Bohnen-Salat mit Pesto und Schafkäse, Hühnerleberpaté mit Portweingelee und Brioche oder Bratapfel-Tiramisu.
Als „Flexitarierin mit geringem Fleischanteil“ forciert sie auch die vegetarische Linie. Ihre karamellisierten Krautfleckerl gelten bereits als Nachweis der Küchenqualität, obwohl sie – im Gegensatz zur Tante Jolesch – immer genug davon macht. Und der selten gewordene Bröselkarfiol mit Kapern und Ei, der kann auch was.
Wichtig ist den neuen Wirtsleuten, dass alles urwienerisch und einen Hauch schlampert bleibt; natürlich nur im allerbesten Sinne, so wie eben die Wiener Philharmoniker dafür berühmt sind, den Walzer unnachahmlich zu verhatschen. Und wenn das Gasthaus bummvoll ist – mittlerweile keine Seltenheit mehr – helfen auch branchenfremde Stammgäste wie etwa ein Professor der WU Wien an der Schank aus. Mit geradezu philharmonischer Liebenswürdigkeit und Leidenschaft. Die Welt ist gerettet.
Zumindest diese eine kleine.
Kommentare