Kinder im Krisenzentrum: Wo es in Wien ein Zuhause auf Zeit gibt
Ein Radio, das leise Popmusik abspielt, Kinderzeichnungen an der Wohnungstür und ein Regal, in dem diverse Schuhe und bunte Gummistiefel untergebracht sind. Der erste Blick lässt nicht erahnen, dass hier keine herkömmliche Familie zu Hause ist. Stattdessen ist in jener Wohnung in Favoriten Wiens erstes Kleinkinderkrisenzentrum der MA 11 (Kinder- und Jugendhilfe) untergebracht.
Dabei handelt es sich um ein Kinderkrisenzentrum, in dem junge Menschen, die sich in akuten familiären oder sozialen Krisen befinden, eine sichere, vorübergehende Unterkunft erhalten. Anders als in den anderen städtischen Einrichtungen, wo die Altersspanne bei drei bis 15 Jahren liegt, werden an jenem Standort im 10. Bezirk ausschließlich Kinder im Alter von zwei bis sechs Jahren betreut.
Neuen Alltag lernen
"Wir leben hier Alltag", sagt Standortleiterin Monika Weber. Für die Kinder, die im Schnitt sechs bis acht Wochen im Zentrum verbringen, bedeutet das, neue Routinen aufzubauen. „Ich finde es ganz wichtig, ihnen jegliche Sicherheit, die es gibt, vermitteln zu können.“ Gemeinsam wird gebastelt, gespielt und vorgelesen. Auch zahlreiche Arztbesuche stehen auf der Agenda. "Untertags müssen die Kinder, die meist keinen Kindergartenplatz haben, rund um die Uhr betreut werden", erklärt Weber.
Der Lebensabschnitt sei natürlich nicht ohne Herausforderungen: "Es ist nicht ohne, was die Kinder hier leisten müssen." Es sei nicht einfach, sich so jung an einen ganz anderen Ablauf - und das ohne Eltern vor Ort - zu gewöhnen, so Weber weiter.
Üblicherweise werden die Betroffenen in einem Krisenzentrum aufgenommen, wenn sie sich zu Hause in einer akuten Notsituation befinden, in der ihr Schutz nicht mehr gewährleistet ist, oder wenn eine klinisch-diagnostische Abklärung notwendig ist. Häufige Aufnahmegründe sind familiäre Konflikte, Vernachlässigung oder Misshandlung, das Scheitern von Pflegeverhältnissen sowie belastende oder traumatische Erlebnisse.
Eltern einbeziehen
Weber sei es deshalb wichtig, die Eltern in den vorübergehenden Alltag der Kinder miteinzubeziehen: Täglich gibt es die Möglichkeit auf Telefonate mit den Eltern. Auch Weber und ihr Team stehen für Rückfragen den Eltern zur Verfügung. "Sie können sich mit ihren Sorgen und Anliegen an uns wenden", sagt sie. Zudem sind Besuchskontakte im Krisenzentrum vor Ort oder auf Ausflügen Teil der Elternarbeit.
Schon bei der Aufnahme werden die nächsten Kontakte besprochen. "Je nachdem, wie es dem Kind geht, bauen wir aus", so die Leiterin. Gerade zu Beginn sei der Aufenthalt sowohl für Kind und Eltern oft schwierig: "Die Kleinen brauchen da noch viel Begleitung, viele von ihnen sind sehr ängstlich." Weber versuche, auch den Eltern die Angst zu nehmen und mögliche Konkurrenzsituationen, die sie aufgrund der Ausnahmesituation als natürlich ansieht, zu vermeiden: "Wir versuchen die Eltern so anzuleiten, dass sie es später allein schaffen. Das macht sie dann auch wieder stolz", sagt sie.
In dem Alter der Kinder gebe es besonders viele Entwicklungssprünge: "'Wir haben es oft mit vernachlässigten Kindern zu tun und wenn es hier beispielsweise mehr Zeitressourcen gibt, wird das bei der Entwicklung manchmal sichtbar", so Weber. Nach rund fünf Wochen im Zentrum werde besprochen, wie es für die Familien weitergeht. "Im Optimalfall kommen die Kinder zurück zu ihren Eltern. Ist das nicht möglich, suchen wir einen Folgeplatz."
Fünf weitere Kleinkinderzentren geplant
Das kann in manchen Fällen dauern. Der Standort im 10. Bezirk kann sechs Kindern vorübergehend ein Zuhause bieten. Laut Weber sind die Plätze im Kleinkinderkrisenzentrum ständig gefüllt.
Die Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft (KIJA) besucht die Krisenzentren der Stadt regelmäßig. In ihrem Jahresbericht werden die Einrichtungen nun aber kritisiert, wie der Falter berichtete: Die Krisenzentren standen bereits seit Jahren immer wieder unter Druck, doch 2024 soll sich die Situation deutlich verschärft haben. Bemängelt werden etwa fehlende Rückzugsorte in den Einrichtungen, was an den der Alterspanne der regulären Kinderkrisenzentren (drei bis 15 Jahre) liegen könnte.
Der Engpass in der Kinderkrisenpflege wird seitens der MA 11 ernst genommen: Deshalb plant die Stadt Wien fünf weitere Krisenzentren für Kleinkinder zu bauen. Denn Kinder- und Jugendausgaben sollen nicht dem roten Stift des Budget-Sparprogramms zum Opfer fallen. Der Bedarf an Betreuungsplätzen steigt in Wien weiter, da die Stadt ebenfalls wächst, so die MA 11 zum KURIER.
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