Kind nach Geburt bei Klinik Favoriten getötet: 20 Jahre Haft für Mutter

Prozess nach Kindstötung in Favoriten
Nach der Tötung eines Neugeborenen im November 2024 fand am heutigen Dienstag der Prozess gegen die 30-jährige Mutter statt.
Mit einem Tuch, das ihr Gesicht verdeckt, betrat die 30-jährige Angeklagte am Dienstagvormittag den Verhandlungssaal am Landesgericht für Strafsachen in Wien. Ihr wurde zur Last gelegt, ihr Baby getötet zu haben. Am Nachmittag um kurz nach 15 Uhr erging dann das Urteil: 20 Jahre Haft.
 
Ein wehrloses Kind zu töten, noch dazu das eigene, sei das schlimmste Verbrechen, das man sich vorstellen kann, sagt die Richterin bei der Urteilsverkündung, "da sind 20 Jahre gerade angemessen."

Das besonders brutale Vorgehen sei erschwerend bei der Strafe berücksichtigt worden, ihre Unbescholtenheit, die psychische Ausnahmesituation und das Geständnis mildernd. Die Geschworenen entschieden mit 8:0 auf vorsätzlichen Mord. 

Das Urteil ist nicht rechtskräftig, die Verteidigerin erbat sich ob des Zustandes der Frau, die nach dem Urteilsspruch in Tränen ausgebrochen ist, Bedenkzeit. Die Staatsanwältin gab keine Erklärung ab.

Das Baby der 30-jährigen Frau war am 21. November vergangenen Jahres aus der neonatologischen Station der Klinik Favoriten verschwunden. Eine groß angelegte Suchaktion brachte zunächst keinen Erfolg. Das tote Kind wurde schließlich außerhalb des Klinikgeländes in einem Container in der Kundratstraße gefunden, nachdem die Mutter selbst die Ermittler auf diese Spur brachte. 

Vor Prozessbeginn meinte Astrid Wagner, die Anwältin der Angeklagten, ihre Mandantin komme darüber nach wie vor nicht hinweg. Von Anfang sei die Frau geständig gewesen, sagt Wagner. Motiv gibt es keines: Es sei eine Affekthandlung gewesen, sie wisse nicht, was über sie gekommen sei.

Wie hoch könnte die Strafe ausfallen?

Laut Wagner handle es sich um eine Geburtspsychose, die allerdings nicht diagnostiziert worden sei. Ihrer Mandantin gehe es psychisch sehr schlecht. Auf die Frage, warum sie nicht an eine Babyklappe gedacht habe, habe sie gesagt, "ich will doch mein Kind nicht weggeben".

Die Anwältin der Angeklagten zeichnet das Bild einer Frau, die - trotz ihrer 30 Jahre - aus einer traditionellen türkischen Familie kommt. Unterdrückt und eingesperrt, die Angeklagte bestätigt das: "Ich war immer das Dienstmädchen daheim." Wagner versucht, auch den - mit einem wesentliche geringeren Strafrahmen versehenen - Paragrafen 79, Tötung eines Kindes nach der Geburt - für die Beurteilung des Falles heranzuziehen. 

"Würde ihr Leben für das ihrer Tochter geben"

Denn die Frau habe sich auch sieben Tage nach der Geburt, als das Kind getötet wurde, in einem Ausnahmezustand befunden. "Sie würde sogar ihr eigenes Leben für ihre Tochter geben", sagt Wagner. Und die Angeklagte bestätigt das in ihrer Aussage. 

Sie hätte zwar eine Abtreibung geplant, das sei aber rechtlich in der 19. Woche nicht mehr möglich gewesen. Danach hat sie allerdings, wie die Richterin vorlegt, Abtreibung im Ausland und Kindesentführung gegoogelt. 

Prozess gegen 30-Jährige

Astrid Wagner vertritt die 30-jährige Angeklagte.

Als die Sprache auf die Tötung des Kindes - das Mädchen hat Melek, auf Deutsch Engel, geheißen, bricht der Angeklagten die Stimmen, sie weint. Sie spricht von Panik, Chaos, einem Zustand der völligen Verwirrung. Ausgelöst dadurch, weil die Entlassung aus dem Spital schneller als erwartet erfolgt sei. 

"Ich wollte sie nicht töten", beteuert die Frau, "aber als sie geweint hat, wollte ich, dass sie aufhört." Deshalb habe sie das Kind erst gewürgt, dann in dem Müllsack, den sie mitgenommen hat, drei Mal auf den Asphalt aufgeschlagen. Den verknoteten Sack hat sie bei einer Mülltonne abgestellt, ohne nochmals einen Blick auf das Kind darin zu werfen. Auch jetzt senkt sie den Kopf, als die Richterin die Bilder des Müllsackes und des getöteten Babys zeigt. 

Viele Fragen bleiben offen

Viele Fragen bleiben unbeantwortet. Warum sie das Kind nicht in der Babyklappe abgegeben hat? Oder zur Adoption freigegeben? Oder einfach nicht versucht hat, das Leben "als gebildete 30-jährige Frau, die alle Möglichkeiten in Österreich hat", wie die Richterin befindet, mit dem Kind selbst zu schaffen? 

Oder, warum sie es nicht dem Kindesvater überlassen hat? Denn der habe "zu Hause ein Nest vorbereitet, natürlich", wie er in seiner Zeugenaussage angibt. Er habe das Kind jeden Tag besucht und wollte mit der Mutter bei sich zu Hause leben. Dass er selbst dazu beigetragen hat, dass es zwischen seiner Familie und jener der Mutter große Probleme gibt, kommt auch zur Sprache. 

Schlepperaktion in Ungarn

Denn der junge Mann hat die Angeklagte dazu gebracht, ihm in Ungarn bei einer Schlepperaktion zu helfen. Sie wurden gefasst, die Frau saß 15 Monate in Haft, bis sie nach einem Zeckenstich ins Koma fiel und danach vom Krankenhaus entlassen wurde. 

Ihr Verfahren wurde eingestellt, er musste eine längere Haftstrafe absitzen, danach kamen die beiden wieder - gegen den Wunsch der Familie der Frau - zusammen. Mit dem Ergebnis der Schwangerschaft und der Mordanklage. 

Der Vater des Kindes hat mit der Angeklagten unmittelbar nach "dem Vorfall", wie er es nennt, per Video telefoniert. "Mir ist nichts dabei aufgefallen", sagt er vor Gericht. Was ihm aber aufgefallen sei: "Sie hat wie eine Krankenschwester gewirkt, als sie erzählt hat, dass das Kind weg ist. Sie war viel zu ruhig. Ich war völlig fertig, weil mein Kind weg war." 

Säugling nach einem Tag gefunden

Erst am Tag nach der Tat wurde der Säugling in der Nähe der Klinik Favoriten gefunden. Zuvor hatte die Frau der Polizei die Geschichte aufgetischt, sie habe das Kind einem Mann von der Reinigungsfirma gegeben, der die Familienstreitigkeiten mitbekommen und ihr angeboten habe, das Kind einer Familie zu übergeben, die sich lange schon ein Kind gewünscht hatte. Eine Geschichte, die mit dem Auffinden des Babys aufgeflogen ist. 

Der Vater des Kindes hat sich dem Verfahren übrigens nicht als Privatbeteiligter angeschlossen. Nun sind die Gutachterinnen und ein Gutachter am Wort.