"Lasse keinen einzigen übrig“: Freispruch für ehemaligen Imam

„Habe Texte nicht sorgfältig gelesen“, gab der Ex-Imam an.
Äußerungen wie "Friedhof für die Juden" seien laut Richter von der Meinungsfreiheit gedeckt. Der 61-Jährige war wegen Verhetzung angeklagt.

Es sind im besten Fall martialische Zeilen, deretwegen ein 61-jähriger Mann am Mittwoch vor dem Wiener Straflandesgericht erscheinen muss. Ob sie auch verhetzend sind und zur Gewalt gegen Menschen jüdischen Glaubens und Zionisten anstacheln, wie die Staatsanwältin sagt, soll der Prozess gegen den ehemaligen Imam einer Meidlinger Moschee klären.

„Töte sie alle“

Die inkriminierten Postings hatte der in Ägypten geborene österreichische Staatsbürger im Jänner 2024 auf Facebook für seine damals 3.658 Follower abgesetzt. Dies geschah etwa drei Monate nach dem Terroranschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober. Zu einem Zeitpunkt, als laut der Staatsanwältin bereits 85 Prozent der Bevölkerung im Gazastreifen vertrieben waren. Aber auch zu einer Zeit, in der sich die Zahl antisemitischer Vorfälle laut Daten der Israelitischen Kultusgemeinde verdreifacht hatte.

„Oh Gott, bestrafe die kriminellen Zionisten und deren Unterstützer und zerstreue sie. Oh Gott, zähle sie und töte sie alle und lass keinen einzigen von ihnen übrig“, schrieb der Mann mit dem ergrauten Vollbart am 9. Jänner 2024. Nur sechs Tage später verbreitete er in einem längeren Posting: „Oh Gott, stärke die Mudschaheddin in Gaza, [...] erschrecke die Herzen der Juden, der Besatzer, und verwandle Gaza und ganz Palästina zu einem Friedhof für die Juden und diejenigen, die sie unterstützen.“

Damit sei, so die Staatsanwältin, auch wenn der Nahostkonflikt ein sehr emotionales Thema sei, die Grenze der Meinungsfreiheit erreicht. „Das ist keine Israelkritik, das ist pauschale Verhetzung.“ Der Verteidiger des ehemaligen Imams sieht das naturgemäß anders. Sein Mandant habe die Wörter möglicherweise nicht richtig gesetzt und habe niemandem zu nahe treten wollen.

„Haben Sie die Texte selbst verfasst?“, will der Richter in der Befragung des Angeklagten wissen. Dieser lässt über seinen Dolmetscher ausrichten, er habe die Zeilen von einem Freund im Ausland zugeschickt bekommen und sie vor dem Posten nicht sorgfältig gelesen. Aufgrund des Krieges in Gaza hätten seine Nerven blank gelegen, und er habe gedacht, der Text würde Gutes enthalten. In dem Posting hätte auch „Töte alle Muslime“ stehen können und er hätte es nicht mitbekommen. Seine Funktion als Imam hatte der Mann nach Bekanntwerden der Postings zurückgelegt.

„Vertretbare Meinung“

Für den Richter erfüllen Posts wie „Verwandle Gaza und ganz Palästina zu einem Friedhof für die Juden“ nicht den Tatbestand der Verhetzung und fallen unter die Meinungsfreiheit. Der 61-Jährige wurde nicht rechtskräftig freigesprochen.

„Es ist eine vertretbare Meinung, dass er sagt, er möchte, dass Palästina den Krieg gewinnt und Israel den Krieg verliert“, begründete der Richter das Urteil. „Was man nicht sagen darf, ist ,Tod allen Juden‘“, das habe der Angeklagte aber auch nicht getan. Er wünsche jenen „Juden und Zionisten“ den Tod, die in Gaza Krankenhäuser bombardieren.“ Diese Gruppe sei nicht vom Verhetzungsvorwurf geschützt: „Denen den Tod zu wünschen, ist von der Meinungsfreiheit gedeckt.“

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