„Gelbmanns Gaststube“: Lokalaugenschein im Esszimmer von Ottakring

46-215742376
Das Wirtshaus gehört zum 16. Bezirk wie Cremespinat zum Tafelspitz. Und dass man sich bei dem Platzhirsch so wohlfühlt, liegt nicht zuletzt an zwei Brüdern, einem Sohn und einem Urgestein am Herd.

Von Achim Schneyder 

Im Jahre 1892 wurden im Zuge der von Kaiser Franz Joseph vorangetriebenen Wiener Stadterweiterung die beiden bis zu diesem Zeitpunkt selbstbestimmten Vororte Neulerchenfeld und Ottakring gegen den Willen der Bevölkerung zwangsvermählt, eingemeindet und zum 16. Gemeindebezirk erklärt. Und plötzlich zählte das neue Ottakring mehr als 400 Gaststätten – gemessen an heute eine schier unvorstellbare Zahl, die dem Bezirk rasch den Ruf einbrachte, das „Wirtshaus Wiens“ zu sein.

Eines dieser Wirtshäuser gibt’s immer noch. Eines, das bereits 1873 eröffnet wurde. „Zum Kronprinz Rudolf“ hieß es damals und heute heißt es „Gelbmanns Gaststube“, zu finden an jenem Eck, an dem die Wilhelminenstraße und die Seitenberggasse aufeinandertreffen. „Die Familie Gelbmann hat das Wirtshaus 1954 gekauft, und meine Eltern haben keinen Grund gesehen, irgendwas am Namen zu ändern, als sie es 1988 übernommen haben“, sagt Alexander Laskowsky, seit 2008 Wirt dieses Ottakringer Originals und Sohn von Hans, einst Herr über den Herd, und Rena, einst Herrin über Service und Schank.

Quasi ein Familienbetrieb

Alexander, zuvor in der Werbung tätig, fiel der Branchenwechsel nicht allzu schwer. Einerseits, weil er, Jahrgang 1974, ohnehin ein Wirtshauskind war, andererseits, weil ihm Mama und Papa quasi ein gemachtes Bett übergeben hatten. Und zwar nicht nur in Form eines etablierten Betriebs, vielmehr fand Alexander darüber hinaus ein Personal vor, das noch heute zum Wirtshaus gehört wie der schon eingangs erwähnte Cremespinat zum Tafelspitz. „Fast alle, die hier arbeiten, arbeiten hier schon länger, als ich Wirt bin“, sagt Alexander. Als da wären: der Herr Edi, Kellner, an Bord seit 1. Jänner 1992, der Herr Günther, Edis Bruder, der am 1. August 1994 angedockt hat, sowie Küchenchef Bernd, den Alexanders kochender Vater Hans im September 1993 als seinen künftigen Nachfolger engagiert hat. „Wir sind“, sagt der Herr Günther, „auch im übertragenen Sinn eine Familie. Weil auch der zweite Koch schon ewig im Haus ist, seit 1988. Damals Co von Alex’ Vater, heute Co vom Bernd.“ Und was die Kellnerei betrifft, ist nun seit bald einem Jahr auch Günthers Sohn Elias am servierenden Werk.

Der Himmel verspricht Frühsommer, ich sitze im Gastgarten im Hinterhof. Und irgendwas ist anders seit meinem bisher letzten Besuch vor einem Jahr, als ich mit dem Michel, meinem Tiroler Freund und kulinarischem Bruder im Geiste, das herrliche Maibockragout mit Schupfnudeln gegessen habe. „Herr Günther“, sage ich, als mir der Herr Günther die Sulz vom Spanferkel serviert, „kann es sein, dass hier irgendwas anders ist?“ „Irgendwas?“, sagt der Herr Günther und lacht. „Der ganze Garten ist seit vier Wochen quasi neu. Ein neues Geläuf, sehr zur Freude unserer Schuhe, außerdem gibt’s eine riesige Markise statt der Schirme, also müssen die Gäste nicht gleich ins Innere flüchten, wenn’s regnet. Und neu sind auch die Tische, die Stühle und die Beleuchtung.“ „Gelungen“, sage ich und koste die Sulz. Auch gelungen.

Was die Handschrift verrät

Als ich nach der Sulz mit Hingabe den Tafelspitz mit dem Cremespinat genieße, hat das Mittagsg’schäft nachgelassen und der Herr Günther ein bisserl Zeit für eine Plauderei. „Weißt“, sagt er, „wenn ich auf Urlaub bin oder frei hab, wissen das unsere Stammgäste schon, bevor sie überhaupt reinkommen.“ „Wie das?“, frage ich. „Sie erkennen’s an meiner Handschrift. Oder eben an meiner Nicht-Handschrift. Weil ich seit 31 Jahren, seit meinem allerersten Tag, Tag für Tag die Tafeln mit den Tagesgerichten, die vor dem Lokal hängen, schreib’. Und wenn da die Handschrift plötzlich anders ist, ist allen klar: Günther ist nicht da.“ „Apropos Stammgäste, …“, setze ich an. „Ja“, unterbricht er mich, „Stammgäste gehören zu uns wie Erdäpfelsalat zum Schnitzel. Zu Mittag kenn ich 50 Prozent der Leute mit Namen, weitere 40 zumindest vom Sehen und die restlichen zehn sind halt andere …“

Es ist ein richtiges Wohlfühl-Wirtshaus, diese so typisch wienerische Gaststube, die Gelbmanns heißt, aber von einem Laskowsky betrieben wird. Und wenn wir schon bei Laskowsky sind, der Alexander hat einen Bruder, der heißt Sebastian. Und der führt den „Gmoakeller“ am Heumarkt im Dritten. Und gemeinsam mit Sebastian betreibt Alexander in der Schönbrunner Straße auch noch den Waldviertler Hof. Aber das ist eine andere Geschichte. Respektive sind es zwei Geschichten. Nachzulesen vermutlich irgendwann hier.

Am nächsten Sonntag lesen Sie: Kamolz im Stomach

Kommentare