Flucht nach Afrika: Das Schicksal der Klarwills
Elsa von Klarwill (geb. Egger) mit ihrem Sohn Victor Isidor. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten emigrierten Sohn und Mutter 1938/’39 nach Kenia.
Mit dem Anruf der „Klassik Stiftung Weimar“ begannen Eschner und seine Tante, die 76-jährige Kanadierin Victoria Voros, auch zu ihren Ahnen väterlicherseits zu forschen. Denn ihr Mädchenname, Klarwill, ist untrennbar mit der Wiener Gesellschaft des 19. Jahrhunderts verbunden.
Und der Stempel in jenem Buch, das die deutsche Gesellschaft an Voros restituieren wollte, brachte neue Details zur Flucht vor der Shoah und einem neuen Leben in Afrika hervor.
Ganz unbekannt war Voros ihre Familiengeschichte nicht. Bis heute sind viele Besitztümer, die ihre Oma Elsa von Klarwill vor der NS-Verfolgung aus dem Land geschmuggelt hatte, in ihrem Besitz. „Ich habe immer gesagt, wir leben in einem Museum“, scherzt sie.
Aristokraten
Die Klarwills galten rund um die Jahrhundertwende als bedeutende jüdische Familie. Sie zählten – wie ihre Nachfahren nun herausfanden – sogar zum Bekanntenkreis Arthur Schnitzlers.
Bücher spielten in ihrem Leben eine große Rolle. Voros Urgroßvater Isidor Ritter von Klarwill, ursprünglich aus Prag, war ein einflussreicher Journalist sowie Herausgeber und Chefredakteur der politischen Tageszeitung „Fremdenplatz“. 1881 war er zum Ritter geadelt worden.
Seine drei Söhne traten in seine Fußstapfen. Victor von Klarwill, 1873 geboren, war ebenfalls Publizist und Übersetzer – sogar für Queen Elizabeth.
Wie Recherchen nun gezeigt haben, gehörte er zu einem losen Kreis Wiener Büchersammler, der ein Vorläufer der Wiener Bibliophilen-Gesellschaft war. Alte Aufnahmen der Wiener Wohnung der Klarwills zeigen Wände voller Bücherregale.
Elsa von Klarwill (geb. Egger) mit ihrem Sohn Victor Isidor. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten emigrierten Sohn und Mutter 1938/’39 nach Kenia.
Viktor von Klarwill war auch Gründungsmitglied des Presseclub Concordia. 1901 heiratete er Elsa Egger, die Schwester von Ernst und Tochter von Béla Egger. Den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erlebte Viktor von Klarwill nicht mehr, er starb 1933 und liegt heute neben dem Grab Theodor Herzls am Döblinger Friedhof.
Flucht vor den Nazis
Als die Nationalsozialisten die Macht ergriffen, floh die Familie aus Österreich. Victor Isidor Ernst von Klarwill, der 1902 geborene Sohn von Elsa und Victor sen., emigrierte 1938 nach Nairobi, Kenia.
Seine Mutter Elsa folgte ein Jahr später – unter anderem mit besagtem Büchertempel im Gepäck. Zuvor hatte sie ihre Vermögenswerte veräußern müssen.
Wie genau der junge Victor nach Kenia gelangte, darüber gibt es verschiedene Geschichten. Wie Voros jedoch erzählt, war die Reise nicht ungefährlich.
Denn kaum angekommen, sei ihr Vater von den Engländern festgesetzt und in ein Arbeitslager nach Südafrika gebracht worden sein. „Ich habe unglücklicherweise nicht mehr herausgefunden, wo“, bedauert sie.
Elsa (re.) mit Viktor Klarwill (2. v. li) mit Freunden 1901.
Schließlich durfte von Klarwill nach Kenia zurückkehren. „Nach dem Krieg eröffnete er die Naro-Moru-Lodge für Touristen“, erzählt seine Tochter. Die Lodge existiert heute immer noch.
Elsa und die Löwin
In zweiter Ehe heiratete er Voros Mutter, Rachel Sutton, eine Engländerin, die die Lodge managte. Zuvor war seine Ehe mit Friederike Victoria Gessner gescheitert. Gessner wurde später als Naturforscherin und Malerin Joy Adamson bekannt, die ihre Löwin Elsa nach ihrer ehemaligen Schwiegermutter Elsa von Klarwill getauft hatte.
Wie ihr menschliches Vorbild soll die Löwin sehr eigenwillig gewesen sein. „Elsa war sehr herrisch“, erzählt Voros, die ihre Oma nie kennengelernt hatte. Sie starb am Tag ihrer Geburt im Jahr 1945.
Bekannt ist, dass Elsa nach ihrer Ankunft in Afrika alleine in Nairobi lebte. Es habe schwer sein müssen, sich – aus einer aristokratischen Familie kommend – an diesen neuen Lebensstil zu gewöhnen, meint ihre Enkelin. „Meine Oma war eine sehr unglückliche Frau.“
Weiter nach England
Auch in Kenia blieb die Familie nicht dauerhaft. Als der Aufstand gegen die britische Kolonialherrschaft ausbrach, verließen die Klarwills die Lodge. Victor begann als Autoverkäufer in Nairobi von vorne.
„Was er gehasst hat“, erzählt Voros. Schließlich zog die Familie nach Kapstadt und in den 1960er-Jahren schließlich nach England.
Ihre Eltern, erinnert sich Voros, betrieben dort ein Geschäft. Schließlich erhielt ihr Vater als NS-Vertriebener eine Entschädigung des Staates. „Das machte einen riesen Unterschied für ihr Leben“, erzählt Voros.
Denn Geld war damals bei den Klarwills – im Unterschied zum aristokratischen Leben in Wien – knapp.
Ihre Kindheit sei dennoch gut gewesen, sagt die heute 76-Jährige. Vor allem das Leben auf der Lodge hat sie geprägt. Aus der Enge Englands emigrierte Voros nach Vancouver, heiratete und baute sich „ohne Penny“ ein Leben auf.
"Er war ein großer Fisch im kleinen Teich"
Ihr Vater kehrte in seinen 80ern nach Afrika zurück. „Er war glücklich in Afrika“, erzählt Voros. Er habe gerne in der Öffentlichkeit gestanden. „Er war ein großer Fisch im kleinen Teich.“
Mit den Büchern ihrer Vorfahren, die nun aufgetaucht sind, wurde sich Voros ihrer eigenen Geschichte bewusst. „Es ist sehr aufregend, dass wir so viel herausgefunden haben“, sagt sie. „Es tut mir aber leid, dass ich meinen Vater nicht mehr gefragt habe. Ich fühle mich geehrt, etwas Blut von ihm zu haben.“
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