Fiaker-Milli: Eine unkonventionelle Sängerin erobert Wien

Emilie Turecek als Fiaker-Milli um 1870. Für ihr „skandalöses“ Kostüm brauchte sie eine polizeiliche Genehmigung.
Als Emilie Turecek im Oktober 1874 dem Fiaker Ludwig Demel in der Leopoldstädter Johann-Nepomuk-Kirche das Ja-Wort gab, brachte dieses Ereignis wegen der zahlreichen Schaulustigen den Tramway-Verkehr auf der Praterstraße zum Stillstand.
Die Braut war nämlich keine Unbekannte: Unter dem Namen Fiaker-Milli war sie eine stadtbekannte Volkssängerin.
Geboren wurde sie am 30. Juni 1846 als uneheliche Tochter in ärmlichen Verhältnissen am heutigen Alsergrund. Rund zwanzig Jahre später tauchte ihr Name erstmals in der Wiener Presse auf – begleitet von Skepsis.
Erste Gehversuche in der Unterhaltung
So schreibt das „Fremdenblatt“ 1867 über „die zweifelhafte Person“ und ihre ersten Gehversuche in der Unterhaltungsbranche: „Vor drei Jahren tauchte die Schlankgebaute erstmals in den Sträußl-Sälen auf.“ Tatsächlich feierte sie auf den Wiener Wäschermädel- und Fiakerbällen schon bald große Erfolge.
Dazu trugen nicht nur ihre pikanten Couplets wie „Ich bin halt noch so unerfahrn“ bei, sondern auch ihr für damalige Zeiten skandalöses Kostüm: ein hautenges Jockey-Outfit mit kurzen Hosen und Reitgerte, das eine polizeiliche Genehmigung erforderte. Sie trat in Vergnügungslokalen wie den Thaliasälen, den Drei-Engel-Sälen, im Diana-Saal oder im Sperl auf – begleitet von einem zwielichtigen Ruf. In Wiener Polizeiakten wurde sie gar als Prostituierte geführt.
Erfolg und Niedergang
Nach ihrer Hochzeit erwog sie, selbst als Fiakerin tätig zu werden – „das Schauspiel der ersten Fiakerin in Wien“, wie das „Illustrirte Tagblatt“ ungläubig schrieb. Doch das Glück währte nicht lange: Bereits wenige Monate später musste Emilie Demel Konkurs anmelden. Sie verschwand aus der Öffentlichkeit. Am 13. Mai 1889 starb sie in ihrer Wohnung in Dornbach an Leberzirrhose.
Das „Neue Wiener Tagblatt“ schrieb in seinem Nachruf: „Vor zwei Dezennien galt sie noch als die Meistumworbene, weil pikanteste und ,rescheste’ aus jener Schönheitsgalerie, die ihr Hauptquartier beim „Sperl“ hatte, wo die Lebemänner und vornehme Fremde sich einfanden. [...] Ihre letzten Lebensjahre waren grundverschieden von den Zeiten ihres Glanzes, sie starb in ärmlichen Verhältnissen.“
Und doch lebt ihr Mythos weiter. Hugo von Hofmannsthal verewigte die Fiaker-Milli in seinem Libretto zur Richard-Strauß-Oper „Arabella“. Und 2022 wurde ein Abschnitt des Donaukanal-Gehwegs zur Emilie-Turecek-Promenade.
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