EU-Kommissar für Wohnen: "Wien kann Vorbild für EU-Staaten sein"

Dan Jørgensen
Dan Jørgensen, der dänische EU-Kommissar für Wohnen und Energie, hält Wiens Wohnungspolitik zumindest in Teilen für vorbildhaft.

KURIER: Die EU sagt, dass es eine Wohnungskrise gibt, wenn mehr als 40 Prozent des Einkommens für Wohnraum ausgegeben werden müssen. Waren Sie so stark in diesem Thema involviert, weil Dänemark nach Griechenland den zweithöchsten Wohnungskostendruck in Europa hat?

Dan Jørgensen: Es geht nicht nur um einen Prozentsatz oder einen Aspekt, weil in der Frage viele Punkte zählen. Wenn die Mieten nicht hoch sind, aber die Energiekosten, hilft das den Bürgern auch nicht. Ja, wir haben in Dänemark auch ein großes Problem, aber mit den Zahlen muss man vorsichtig sein. Dänemark gilt vielen als Vorbild, Kopenhagen ist eine der lebenswertesten Städte der Welt, wie auch Wien. Aber sogar in Städten wie Wien und Kopenhagen gibt es große Herausforderungen, weil es schwierig ist, leistbaren Wohnraum zu finden. Deshalb müssen wir handeln, denn bisher ist nicht genug passiert. 

Sie haben diese Woche den Plan für bezahlbaren Wohnraum in der EU vorgestellt. Wie viel Wien steckt in diesem Plan?

Wien ist definitiv ein Vorzeigebeispiel. Ich will damit nicht sagen, dass es nicht auch hier Verbesserungsmöglichkeiten gibt, und der Bürgermeister hat sicher viele Pläne dazu. Dass Wien zu den lebenswertesten Städten der Welt gehört, zeigt aber, dass die Politik hier sehr gut und sehr inklusiv arbeitet, Zusammenhalt schafft, Sicherheit bietet und es den Menschen ermöglicht, ihr Leben gut gestalten. Ja, Wien ist ein positives Beispiel.

Lässt sich das Modell des sozialen Gemeindewohnbaus in Wien auf jedes EU-Land umlegen?

Ich hoffe sehr, dass sich andere Länder davon inspirieren lassen. Ich möchte mit meinem Plan auch Anreize schaffen, Investitionen im Wohnsektor fördern. Wir lockern auch die Beihilferegeln, damit Länder, die bisher Schwierigkeiten hatten, sozialen Wohnbau zu unterstützen, dies künftig leichter tun können.

Die Wohnkosten sind von 2015 bis 2023 stark gestiegen. Sind Sie und die EU nicht etwas spät dran mit diesem Thema?

Ja, definitiv. Ich war von 2004 bis 2013 Mitglied des Europäischen Parlaments. Und ich kann ehrlich sagen: In all den hunderten Sitzungen wurde Wohnungspolitik nie diskutiert. Sie galt nicht als EU-Kompetenz, und auch die Bürger haben damals nicht danach gefragt. Das hat sich geändert. Heute steht das Thema in fast allen großen Städten ganz oben auf der Agenda. Die Menschen fordern Lösungen. Und ich glaube nicht, dass es ihnen wichtig ist, auf welcher Ebene die Entscheidungen getroffen werden – lokal, national oder europäisch. Sie wollen Veränderung. Deshalb erwarten sie Handeln auf allen Ebenen.

EU Kommissar Jørgensen und Bürgermeister Ludwig.

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig, Karin Ramser (Wiener Wohnen), Paul Steurer (Gesiba) Andreas Schieder (SPÖ) und EU Kommissar Dan Jørgensen (v.l.) bei der Besichtigung im Village im Dritten. 

Die Herausforderungen sind in den verschiedenen Ländern Europas unterschiedlich.

Ja. Ich hoffe, dass der Plan eine gute Balance bietet: Auf EU-Ebene schaffen wir die Grundlage für mehr Investitionen, vereinfachen Regeln, fördern den Bausektor, setzen Standards für energetische Sanierungen und ermöglichen Maßnahmen gegen Kurzzeitvermietungen. Gleichzeitig geben wir viele Empfehlungen, weil vieles keine EU-Kompetenz ist. Wir können und wollen den Ländern keine direkten Anweisungen geben, etwa „Macht es wie Wien“. Unsere Rolle ist es, gute Beispiele aufzuzeigen und Inspiration zu bieten.

Es ist von 650.000 neuen Wohnungen pro Jahr die Rede, mit einem Finanzbedarf von rund 150 Milliarden Euro. In Ihrem Plan steht nicht genau, woher das Geld kommen soll. Reichen die vorgesehenen Mittel und die Hoffnung auf wirtschaftlichen Aufschwung? 

Eine wichtige Frage. Einerseits können wir auf EU-Ebene Investitionen anstoßen. Andererseits sind die Bedürfnisse enorm, und langfristig muss auch der Markt funktionieren – private Investitionen müssen den größten Teil der Investitionen ausmachen. Wir mobilisieren aber öffentliche Mittel. Allein in der aktuellen Haushaltsperiode sind es 43 Milliarden Euro. In Zukunft könnte es noch mehr werden. Außerdem haben die Mitgliedstaaten heute viel mehr Freiheit, EU-Mittel für Wohnbau einzusetzen als früher. 

Sie sagten, die Lösung der Wohnungskrise ist eine Frage, die Demokratie in Europa zu retten. 

Ja, das ist es. 

Was wird die EU tun, wenn Mitglieder diesen Plan nicht nutzen, um die Situation ihrer Länder zu verbessern, weil es zu ihren Plänen passt, das System instabil zu halten?

Wenn wir diese Probleme nicht ernst nehmen, riskieren wir soziale Instabilität und den Aufstieg populistischer, antidemokratischer Kräfte. Meine Botschaft an alle Politiker ist klar: Wenn ihr diese Probleme nicht löst, werden andere gewählt. Wohnen ist so grundlegend, dass Menschen Untätigkeit nicht akzeptieren werden. Niemand kann sich herausreden und zurücklehnen – alle Ebenen müssen handeln.

Sollte die EU stärker in nationale Wohnungspolitik eingreifen, wenn es nicht funktioniert?

Wir werden weiter Vorschläge machen, denn das Thema verschwindet nicht. Aber viele der wichtigsten Maßnahmen liegen nicht in unserer Kompetenz, ohne Verantwortung abgeben zu wollen. Zum Beispiel Obdachlosigkeit, ein großes Problem: Das meiste muss national und lokal geregelt werden. Trotzdem ist es wichtig, Best Practices zu teilen und Druck zum Handeln zu erzeugen.

Baustelle im Village im Dritten.

Das Village im Dritten gilt vorbildhaft in Sachen klimagerechter und nachhaltiger Bauweise. 

Klimaschutz spielt eine bedeutende Rolle für die dänische Ratspräsidentschaft. Welche Rolle spielt der Klimaschutz in Ihrem Plan – Stichwort Renovierung vs. Neubauten?

Gebäude verursachen rund 40 Prozent der Emissionen. Wir können sie nicht ausklammern. Die gute Nachricht: Investitionen in Sanierungen rechnen sich schnell, machen Wohnungen lebenswerter und senken Energiekosten.

Das ist noch nicht überall angekommen. 

Deshalb rede ich ja mit Medien wie ihnen. Energieeffizienz-Investitionen amortisieren sich meist in drei bis fünf Jahren – danach verdient man Geld. Ich ermutige die Mitgliedstaaten, Fördermodelle zu schaffen und mit dem Finanzsektor zusammenzuarbeiten. Und ja, es müssen neue Wohnungen gebaut werden. Aber wir müssen auch vorhandene Gebäude besser nutzen: Rund 15 Prozent der Gebäude in Europa sind derzeit nicht bewohnbar, könnten aber saniert werden. Wiederverwendung ist besser für Klima, Wirtschaft und Kulturerbe. Wien macht das bereits sehr gut. Das wird hoffentlich ein Trend in anderen Städten auch.

Zwei letzte Fragen zu Österreich: In Graz stellt die KPÖ den Bürgermeister, in Salzburg verpasste sie bei den letzten Wahlen nur knapp den 1. Platz. In beiden Städten konzentrierte sich die KPÖ auf das Thema Wohnraum. Haben Kommunisten bessere Pläne, um die Wohnungskrise zu lösen?

(Lacht). Nein, aber es zeigt, dass Wähler Parteien unterstützen, die ihre Probleme ernst nehmen. Wohnen ist ein Grundbedürfnis, dafür müssen wir Antworten finden.  Wohnen ist, wie Essen und Wärme, wichtiger als alles andere im Leben. Ohne Zuhause ist alles andere zweitrangig.

In Österreich liegt die Inflation bei rund 4 Prozent, auch wegen hoher Wohn- und Energiekosten. Was macht die Regierung falsch – und hilft Ihr Plan gegen Inflation?

Ich analysiere gerade, was Österreich tut. Ich hatte gestern ein Treffen mit dem Vizekanzler, und einige Maßnahmen sind sehr interessant, damit die Wohnkosten nicht explodieren. Derartige Maßnahmen bleiben nationale Kompetenz, aber ich will lernen, was auch für andere Länder funktionieren könnte. Positiv ist, dass Wohnen in Österreich ganz oben auf der Agenda steht. Als EU-Kommissar wähle ich keine politischen Seiten, aber ich finde es sehr positiv, dass Österreich diese Probleme ernst nimmt.

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