Eine Tour durch den Gemeindebau: Willkommen im "Versailles der Arbeiter"

Gemeindebau
Sie sollten ein besseres und gesünderes Leben ermöglichen: Am 1. Mai gibt es eine Führung durch Gemeindebauten aus den 1920er- und 30er-Jahren.

Arkaden, Laubengänge und Pavillons. Mittendrin ein Ehrenhof mit Wasserbecken, in dem sich der Mitteltrakt widerspiegelt. All das umrahmt von Blumenbeeten und Sträuchern.

Willkommen im Reumannhof, einem klassischen Wiener „Volkswohnpalast“: So lautet die ironische Bezeichnung für die typischen Großgemeindebauten der Zwischenkriegszeit. Sie sind martialische Monumentalbauten und ein Symbol dafür, dass Wien einst eine Utopie verwirklichte: leistbaren Wohnraum in großer Zahl zu schaffen.

Wie beim Wiener Schmäh, der vordergründig etwas herb erscheinen mag, erschließt sich der Charme des Gemeindebaus oft erst beim zweiten Hinsehen. Aber im Unterschied zu Ersterem kann man Zweiteren ausgiebig besichtigen: Fremdenführer Jascha Novak hat eine „Gemeindebau Schau“ im Programm, in der er durch charakteristische Bauten der 1920er- und 1930er-Jahre führt. Der nächste Tour-Termin ist am 1. Mai – dafür gibt es Karten zu gewinnen (siehe Infobox).

Startpunkt der Führung ist am Margaretengürtel, im Volksmund auch „Ringstraße des Proletariats“ oder „Drasche-Gürtel“ genannt: „Der Industrielle Heinrich Drasche hat im 19. Jahrhundert am Wienerberg Ziegeleien betrieben. Die Arbeiter waren die Ärmsten der Armen und haben furchtbar gehaust“, erzählt Novak. Generell waren die Wohnverhältnisse katastrophal, die Menschen lebten in engen, dunklen, feuchten Quartieren.

Erster Gemeindebau der Stadt

„Den Politikern wurde klar, dass man etwas unternehmen musste“, sagt Novak. Jeder sollte die Möglichkeit haben, in einer eigenen kleinen Wohneinheit samt Wasser und Toilette zu leben – das war damals revolutionär. Der erste Gemeindebau der Stadt war übrigens der Metzleinstaler Hof, der auch eine Station der Tour ist.

Nach der Formel „acht Stunden Arbeit, acht Stunden Freizeit, acht Stunden Schlaf“ sollte in Gemeindebauten mit vielen Grünflächen ringsum ein gesünderes, schöneres Leben möglich sein. Was man auch in der Gestaltung der Gebäude ausdrücken wollte: Im nebenan gelegenen Reumannhof zeigt Novak viele verspielte Details wie schmiedeeiserne Tore, verzierte Keramikfliesen, mit Wappen dekorierte Torbögen oder kleine Steinfiguren. „Darum spricht man auch vom Versailles des Proletariats“, fügt er hinzu.

Rund 220.000 Gemeindewohnungen

Die Innenhöfe sollten Dorfplätzen gleichen: Dort konnten die Kinder spielen, aber auch die Politiker mit den Arbeitern in Kontakt kommen. Und es gab Geschäfte, Ärzte, Lokale und Büchereien. Bloß die Idee aus der Zwischenkriegszeit, in Gemeindebauten keinen Alkohol auszuschenken, konnte sich nicht so recht durchsetzen.

Im Gegensatz zum Gemeindebau selbst: Mit 215.000 bis 220.000 Gemeindewohnungen ist die Stadt mittlerweile der größte Vermieter der Welt. Wer noch mehr darüber erfahren möchte, kann mit Novak am 1. Mai auf Tour gehen.

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