„Die Treiber des Booms sind junge Leute, zwischen 15 und 35 Jahren. Es findet eine Lehrer-Schüler-Umkehr statt. Die Älteren orientieren sich am Beispiel ihrer Kinder“, berichtet Winter. Stammkunden, die jahrzehntelang nur CDs kauften, würden nun wieder Schallplatten nachfragen. Für eine Plattensammlung der Mahler-Sinfonien geben manche auch gerne 300 Euro aus, statt 25 Euro für die CD-Sammlung.
„Nur über einen Tonträger kann man sich Musik zu eigen machen: Mozart wird zu meinem Mozart, sobald ich ihn bei mir ins Regal stellen kann. Dann gehört er mir. Streaming ist immer nur ein Ausborgen“, erklärt Winter – er ist auch der zuständige Branchensprecher der Wirtschaftskammer – das Phänomen.
Musik aus der Kabine
Vor der Zeit der CD gab es im Gramola noch fünf Vorführkabinen. Manche Kunden verbrachten darin auch gerne zwei Stunden mit dem Hören von Platen. Wenn sich Sohn Roland durchsetzen kann, wird es im Shop bald wieder ein Vorführgerät geben.
Ob der Betrieb weitere 100 Jahre bestehen kann, ist aber fraglich. „Das Mietrecht sieht bei einem Besitzerwechsel die Anhebung der Miete auf ortsübliche Preise vor. Diese sind durch den starken Zuzug internationaler Ketten in die Höhe geschossen.“ Der Weiterbetrieb würde sich dann nicht mehr rechnen.
Im März wird aus denselben Gründen Wiens älteste Parfümerie am Graben schließen. „Dann gibt es mit uns nur mehr zwei Traditionsgeschäfte. Wenn die weg sind, gehört der Graben vollständig den großen Ketten“, befürchtet Winter.
Vinyl und Kaffee
Neben rund 30 Tonträgergeschäften gibt es in Wien inzwischen Schallplatten-Cafés und die „Needle Vinyl Bars“. Noch einzigartig ist das „Beats & Beans“ in der Würffelgasse 4 in Rudolfsheim-Fünfhaus. Es ist Gasthaus und Plattenladen in einem.
Zur täglich frischen Küche gibt es Funk, Soul, Jazz und Hip-Hop. Dass Platten-Regale und DJ-Pult im urigen Gastraum nicht fehl am Platz wirkten, wäre sicher nicht jedem gelungen. „Das Lokal ist unaufgeregt und authentisch. Das schätzen die Leute. Zu unseren Gästen gehören 18-jährige Tiktoker genauso wie eine Gruppe von 70-Jährigen“, sagen die Inhaber Daniel Wenko und Rene Herzog.
Die beiden sind selbst Plattensammler und DJs, Herzog war zehn Jahre Küchenchef in Hotel Stephanie. Live aufgelegt wird im Lokal immer am Freitag und Samstag. Wer zum Stöbern kommt, findet bei „Beats and Beans“ sogar Musikkassetten. Auch sie feiern ein kleines Comeback – zumindest im Hip-Hop, wie die beiden Experten sagen: „Eine Platte oder Kassette zu hören, entschleunigt, weil man ein Album von Anfang bis zum Ende durchhört oder sich bis zur gewünschten Nummer vortastet.“
Als nächstes geplant sind Plattenflohmärkte im Schanigarten und ein DJ-Workshop als inklusives Sozialprojekt samt Silent Disco.
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