Wilde Konflikte, Gutachten und ein nächtliches Feuer: Der Lobautunnel

Wenn das Thema Lobautunnel in politischen Kreisen fällt, krampfen sich die Gesichtszüge der Beteiligten: Es gibt selten ein Thema, das toxischer ist als das Infrastrukturprojekt im Norden Wiens. Von Umweltschützern bekämpft, gilt es mittlerweile als Sinnbild für Betonpolitik. Planungspolitisch gilt es dennoch als unausweichlich, schließlich platzen Routen wie die Südosttangente (A23) aus allen Nähten. Worum geht es beim Kampf um die Nordostumfahrung, die in Teilen schon umgesetzt, mehrfach beschlossen und von der ersten Grünen Umweltministerin, Leonore Gewessler, abgesagt wurde? Ein Blick in die Archive zeigt einen heißen Konflikt mit Feuern, Polizeieinsätzen und politischen Unversöhnlichkeiten.
Eine Chronologie des Ringens um die Nordostumfahrung:
Der Plan geht rund drei Jahrzehnte zurück: Mitte der 90er-Jahre artikuliert ÖVP erste Vorschläge zu einer Nordostumfahrung.
2002: Die Stadt Wien startet erste Entwurfsplanungen für eine sechste Donauquerung unter dem damaligen Planungsstadtrat Rudolf Schicker (SPÖ).
2003: Das Ergebnis der „Strategischen Umweltprüfung für den Nordosten Wiens“, bei der diverse Varianten für die Trasse geprüft wurden, liegt vor. Die ökonomisch und ökologisch günstigste wäre demnach eine Querung über den Ölhafen. Sie befindet sich im Vergleich zur aktuell geplanten Trasse ein gutes Stück stadteinwärts.
2004: Bei einem Gipfeltreffen der damaligen Landeshauptleute von Wien und Niederösterreich, Michael Häupl (SPÖ) und Erwin Pröll (ÖVP), mit Verkehrsminister Hubert Gorbach (FPÖ) und Vertretern der Asfinag und den ÖBB, wird hingegen die weiter östlich verlaufende Trassenführung (inklusive Lobautunnel) beschlossen. Niederösterreich erhoffte sich dadurch eine bessere Erschließung von Gebieten jenseits der Wiener Stadtgrenze, seitens der Stadt erwartete man damit weniger Konflikte mit Anrainern.
2005: Die Asfinag präsentiert erste Pläne inklusive Lobautunnel. Als Fertigstellungstermin wird damals das Jahr 2014 genannt.
Es kommt zu ersten Besetzungen
2006: Erste Probebohrungen finden statt. Gegner des Projekts versuchen dies, mittels Baustellen-Besetzungen zu verhindern.
2009: Beginn des Verfahrens zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP). Die Fertigstellung verschiebt sich auf 2018.
2010: In Wien wird die erste rot-grüne Koalition geschlossen. Das umstrittene Thema Lobautunnel – die Grünen hatten den Bau bisher vehement bekämpft – bleibt im Regierungspakt ausgeklammert. Kurz darauf fordert die grüne Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou vergeblich eine Volksbefragung zum Thema.
Rot-Grün veröffentlicht zwei neue Studien: Sie widersprechen einander
2015: Die UVP für die Außenring-Schnellstraße samt Lobautunnel wird positiv abgeschlossen. Im Herbst geht die rot-grüne Regierung in eine Neuauflage. Im Koalitionspakt heißt es: „Wien bekennt sich zur Notwendigkeit einer sechsten Donauquerung, die unter bestmöglicher Berücksichtigung des Umwelt- und Naturschutzes sowie ohne Beeinträchtigung des Nationalparkgebiets geplant werden soll. Deswegen sollen alternative Planungsvarianten geprüft werden.“ Vassilakou verkündet im Anschluss der Verhandlungen auf einer grünen Parteiversammlung: „Der Lobautunnel ist de facto abgesagt.“
2018: Die von Vassilakou initiierte Evaluierung liegt vor. Wobei es sich um zwei Studien handelt. Jene der TU Wien spricht sich gegen den Tunnelbau aus. Die beauftragte Expertengruppe kommt hingegen zum Schluss, dass dieser notwendig ist. Vassilakou selbst bleibt beim Nein zum Tunnel.
Der positive UVP-Bescheid wird in zweiter Instanz bestätigt.
Lobautunnel: Absage durch Gewessler, Wien baut Stadtstraße
2020: Im Herbst wird unter Bürgermeister Michael Ludwig eine rot-pinke Koalition geschmiedet. Die Neos sind an sich dem Lobautunnel gegenüber kritisch eingestellt. Das Thema wird im Regierungspakt ausgeklammert.
2021: In Hinblick auf den Klimaschutz kündigt Umwelt- und Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) an, das Bauprogramm der Asfinag zu evaluieren. Sie sagt die Nordostumfahrung ab. Wien kündigt an, die "Stadtstraße", die an den Lobautunnel angeschlossen wäre, auf jeden Fall zu bauen. Ein monatelanges Protestcamp begleitet die Debatte. Es gibt Klagsandrohungen gegen Minderjährige, die die Stadt später zurücknimmt. In der Nacht auf den Silvestertag brennt eine zweistöckige Holzhütte am Areal in Hirschstetten. Verletzte gibt es keine. Die Gefahr für die Aktivisten, die im Schlaf vom Feuer überrascht wurde, war aber groß. Der Verfassungsschutz nimmt Ermittlungen wegen Brandlegung auf. Das Protestcamp bei der Seestadt Aspern wird anschließend mit einem Großaufgebot der Polizei geräumt. Mehrere Demonstranten werden festgenommen. Erste Bäume werden gefällt. Eine neue politische Figur betritt die Bühne: Lena Schilling, Mitorganisatorin der Proteste. Sie zieht 2024 für die Grünen ins EU-Parlament ein.
2025: Die neue Ampel steht auf Bau
2025: Mit der neuen Ampelkoalition steht das von Ex-Ministerin Gewessler gestoppte Straßenprojekt erneut vor einem Comeback.
Ende Februar bekennt sich Peter Hanke, SPÖ-Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie, in einem Interview zum Tunnel. Dieser sei "ganz wichtig für die Bundeshauptstadt und für die Ostregion. Deshalb wird es hier sicher die notwendige Umsetzung geben". Schon im davor publizierten Regierungsprogramm der Koalition von ÖVP, SPÖ und NEOS wurde der Bau von bereits genehmigten Autobahnen und Schnellstraßen angekündigt, der Tunnel jedoch nicht namentlich genannt. Nur die S1 Spange wurde erwähnt.
Mitte September präsentiert die Umweltorganisatioin Virus ein neues Gutachten, das Hanke einen geringen Handlungsspielraum ausspricht. Bis zu einem entsprechenden Spruch des EuGH könne er eher beschränkt agieren.
25. September 2025: Peter Hanke gibt seine Pläne zum Thema Lobautunnel öffentlich bekannt.
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