Baustellen in Wien: Bilder aus mehr als 100 Jahren
Historisches Foto (um 1900): Arbeiter bauen einen Kanal
Baustellen sind die Schönheitsoperationen der Stadt. Sie sind schmerzhaft, teuer und oft langwierig, aber wenn dann einmal alles verheilt ist, sieht die Stadt besser aus. Baustellenfotos haben etwas Indiskretes, genau darin liegt aber auch ihr Reiz.
Das finden auch der Historiker Matthias Marschik und der APA-Redakteur Edgar Schütz, die für den Band "Wien. Eine Stadt verändert sich" Baustellenfotos aus mehr als 100 Jahren zusammengetragen haben. Anders als die oft sehr langlebigen Bauten sind Baustellen vorübergehende Erscheinungen: Sind sie einmal beendet, sieht man sie nicht mehr. "Es handelt sich um ephemere und somit einzigartige Momentaufnahmen", schreiben Marschik und Schütz, die in derselben Machart bereits mehrere Bücher (zuletzt: "Wien und seine Berge") herausgegeben haben.
Mit dem Bau der Votivkirche wurde 1855 begonnen, noch vor dem Bau der Ringstraße.
Von wenigen Blitzlichtern in die jüngste Gegenwart (Seestadt) abgesehen, reicht der im Buch dokumentierte Zeitraum von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis in die frühen 1970er-Jahre. Dass das Buch um 1850 ansetzt, hat einerseits technische Gründe – viel länger gibt es die Fotografie ja noch nicht – und andererseits damit zu tun, dass die sogenannte Gründerzeit eine der wichtigsten Phasen der Wiener Baugeschichte ist. Um den rapid steigenden Bedarf an Wohnraum abzudecken, wurden zwischen 1848 und 1873 unzählige Zinshäuser hochgezogen, die bis heute das Stadtbild prägen; nach Schleifung der Stadtmauer entstand ab 1857 die Ringstraße mit ihren Prachtbauten. Aber Burgtheater und Staatsoper sind hier nur eingerüstet zu sehen, und von der Universität sieht man nur die Fundamente. "Mitunter zeigen Fotos von Bauplanken, dass es vorher eben nichts zu sehen gab."
Der Rabenhof (hier eine Aufnahme aus dem Jahr 1927) gehört zu den imposantesten Bauten des Roten Wien.
Bier und Gastarbeiter
Ein gestelltes Bild mit Bauarbeitern, die in der Fibel "Serbokroatisch auf Baustellen" schmökern, verweist auf die Hochzeit der "Gastarbeiter". Das Foto eines Maurers mit braun gebranntem Bauch, der seinen Durst mit einer Flasche Schwechater löscht, erinnert an die Zeit, in der es ganz normal war, den Bauarbeitern als Verpflegung eine Bierkiste hinzustellen.
Der Boom des kommunalen Wohnbaus im Roten Wien der 20er-Jahre ist im Buch ebenso abgebildet wie der Umbau zur "autogerechten" Stadt ab den 50er-Jahren.
Das Buch ist eine Art Liebeserklärung an die Baustelle. Wer sich das nächste Mal über eine ärgert, sollte daran denken, dass Baustellen kommen und gehen. Und dass man die Gelegenheit nutzen sollte, genau hinzusehen.
Matthias Marschik, Edgar Schütz: "Wien. Eine Stadt verändert sich. Die Donaumetropole und ihre Baustellen"
Edition Winkler-Hermaden. 130 Seiten. 28,90 Euro
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