Die Revolutionärin der englischen Privatclubs

Lisa Tse und Prinz William
Seit mehr als 330 Jahren gibt es in Großbritannien private Gentlemen's-Clubs. Vor 15 Jahren setzte Lisa Tse einen Meilenstein und schuf ein Pendant für Frauen.

Bei englischen Privatclubs tauchen Bilder von eindrucksvollen Fassaden auf, von Zigarrenrauch und Männern vielleicht mit Monokel, jedenfalls im Anzug. Doch die Tür, durch die es an diesem Abend geht, führt in den hellen Speisesaal des noblen Claridge’s Hotel in Mayfair. Im rechten Eck sitzt Lisa Tse am Kopf einer langen Tafel.

Die 45-jährige Britin – Fotografin, Beraterin und Direktorin jener Kreativagentur, die am Videospiel Fortnite beteiligt war –  hat vor fünfzehn Jahren The Sorority aus der Taufe gehoben – einen Privatclub exklusiv für Frauen.

Es ist Englands geheimnisvollste Tradition: 1693 eröffnete Francis White in der St. James Street ein „Chocolate House“, das bald  zum Treffpunkt für Aristokraten wurde – männliche versteht sich. Es folgte der Brooks’s Club, dann Boodle’s. Ende des 19.  Jahrhunderts gab es in London rund 400 Klubs für den netzwerkenden Gentleman; heute sind knapp ein Dutzend immer noch aktiv.

Lisa Tse Sorority

Feines Ambiente im Sorority

Auf der langen Tafel im Claridge’s trudeln die Gäste des Abends ein: eine Designerin, eine Ärztin, die eine private Ambulanz errichten möchte, eine Ernährungsberaterin, die als Privatköchin für exklusive Kunden aufgekocht hat und nun ihre eigene Produktlinie führt.

Im Sommer 2010 wollte Lisa Tse dem englischen Netzwerken eine weibliche Note geben. Sie war 30 Jahre alt, hatte in vier Jahren drei Unternehmen geleitet – und suchte  Inspiration. „Ich arbeitete mit Investoren, Shareholder “, erzählt sie, „ hauptsächlich weiße Männern.“ Die wenigen Frauen, die sie  in diesen Kreisen traf, hatten sich den männlichen Eigenschaften angepasst. „Es gab diese Erwartung, dass alles großartig sein musste.“ Lisa Tse wollte einen Raum schaffen, in dem Offenheit möglich ist. „Es war eine Erleichterung, Frauen zu treffen, die mit ihren Fehlern im Reinen waren.“

Einkommensschere

Die Schere zwischen Männern und Frauen klafft in Großbritannien immer noch weit auseinander. Das sieht man im öffentlichen Raum: Eine Studie von Art UK ergab, dass es in London mehr Statuen von Männern namens John als von Frauen gibt. Aber auch beim finanziellen Erfolg: Männliche Hochschulabsolventen verdienen fünf Jahre nach ihrem Studienabschluss ein Fünftel mehr als ihre Kommilitoninnen. In Finanzsektor kann der Gender Pay Gap  fast 50 Prozent betragen.  Zum Vergleich:  In Österreich liegt das geschlechtsspezifische Lohngefälle  im Durchschnitt bei 18 Prozent.

Um die Diskrepanz sichtbar zu machen,  realisierte Lisa Tse vor sieben Jahren  ein Pionierprojekt:  Sie  ließ im britischen Parlament  209 Porträts von Männern durch solche von Frauen ersetzen. „Wir hatten nicht  bewusst vor 209 Männer zu ersetzen. Wir haben einfach die aktuellen Porträts entfernt  – und das waren nun einmal zu 90 Prozent Männer.“ 

Lisa Tse Sorority

Mitglieder im Sorority-Club

Die größte Erkenntnis: Ohne Vorgaben, wo sich die Frauen fotografieren lassen konnten, kam ein buntes Kaleidoskop aus Stilen und Orten zustande. Die spätere Innenministerin Priti Patel ließ sich im Sari in einem Feld ablichten. „Bei Männern hätte es sich  um 209 Fotos mit  Anzügen im Parlament gehandelt, oder?“

Die Gespräche unter den Frauen  um Lisa herum sind unterdessen locker; es gibt geteilte  Vorspeiseplatten und Espresso Martini, die das Logo des Clubs tragen. Der Termin fühlt sich weniger nach Netzwerken, als nach einem Abend unter Freunden an. Aber die Sorority-Mitglieder sind auch sorgfältig kuratiert. Neue Mitglieder erhalten  eine persönliche Einladung. 

Ganz langsam bröckelt in London die patriarchale Fassade.  2024 hat sich der Garrick Club nach 193 Jahren doch für Frauen geöffnet. Andere Clubs diskutieren darüber.  Wird es die Sorority einmal nicht mehr brauchen? „Ich habe immer gedacht, dass wir an dem Tag, an dem wir echte Gleichberechtigung erreichen, nicht mehr gebraucht werden. Aber wir wurden nicht mit dem Ziel gegründet, etwas zu beweisen. Dieser Ort macht uns zu besseren Menschen. Und wenn wir uns selbst verbessern, geben wir das an die Welt weiter.“

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