62 Tote bei Disco-Brand in Nordmazedonien: Was von der Katastrophe bleibt

Drei junge Menschen stehen in der Mitte eines Raumes in ihrem Jugendzentrum.
Ein Nachtclub-Brand mit 62 Toten in der Kleinstadt Kočani erschütterte vor einem halben Jahr Nordmazedonien. Wie Überlebende in einem Jugendzentrum Veränderung initiieren.

Zusammenfassung

  • Ein Brand in einem Nachtclub in Kočani forderte 62 Todesopfer und offenbarte gravierende Sicherheitsmängel.
  • Trotz anfänglicher Proteste ebbte der öffentliche Druck ab, während Freiwillige mit der Initiative 'SupportKočani' Überlebende und Familien unterstützten.
  • Mit dem neuen Jugendzentrum 'The Nest' schaffen junge Menschen einen sicheren Treffpunkt und setzen sich für mentale Gesundheit und Gemeinschaft ein.

Jedes Wochenende pilgerten sie 30 Minuten zu Fuß in das Industriegebiet zu dem Club. In hohen Schuhen und Minikleid seien die Freundinnen frühmorgens über hügelige Landschaften und holprige Straßen retour zu ihren Elternhäusern getorkelt. Fortgehen, nächtelanges Feiern. Für viele der Inbegriff von Jugend, auch in Nordmazedonien. "Es ist Teil unserer Kultur", sagt die 25-jährige Ana.

Am 16. März 2025 bekam die Identität der jungen Menschen in der nordmazedonischen Kleinstadt Kočani, rund 100 Kilometer östlich von Skopje, einen Riss. 62 Menschen verloren bei einem Brand in einer Diskothek ihr Leben. Ana hat überlebt.

Der Club war der ganze Stolz der Jugend in der rund 30.000 Einwohner zählenden Stadt. Dass das Feuer so viele Todesopfer forderte, soll an massiven Sicherheitsmängeln liegen, die durch vermutlich illegale Genehmigungen verdeckt blieben.

Die Brandkatastrophe brachte Tausende Menschen im ganzen Land auf die Straße. Sie eint die Frustration und der Ärger über systematisches Versagen des Staates, eine untätige Justiz, und schleppende Aufarbeitung seitens der Behörden. Doch in den vergangenen Monaten sind die Proteste abgeebbt, der Druck für politische Veränderung ist ausgeblieben. Ganz anders als in Serbien, wo der Einsturz eines Bahnhofsvordachs vor einem Jahr und der Ärger über Korruption anhaltende Proteste mit Hunderttausenden Teilnehmern zur Folge hatte.

Schätzungsweise hundert Menschen versammeln sich bei einer Kundgebung am Abend und halten Handylichter in die Höhe

Am zentralen Makedonien-Platz in Skopje hat die Protestbewegung "Koj e sleden" (“Who’s Next?”) eine Kundgebung ausgerufen. Schätzungsweise rund hundert Menschen halten ihre Handys mit Licht in den Abendhimmel, und schweigen, um der Opfer zu gedenken.

Apathische Jugend

Die Frage, warum die Proteste "eingeschlafen" sind, beschäftigt die Journalisten Matej Trojachanec und Antonija Janevska. Die Rede ist von einer Regierung, die die Proteste "sehr geschickt unterdrückt" und eine "Atmosphäre der Angst" kreiert habe. Journalisten seien von der Polizei befragt worden. Trojachanec wurde beim Versuch, den ersten großen Protestmarsch Tausender Menschen mittels Drohne zu dokumentieren, festgenommen. Gerechtfertigt haben das laut dem Journalisten Flugverbotszonen in Skopje, die auf die gesamte Länge des Protestmarsches ausgeweitet wurden.

"Die Menschen sind hoffnungslos. Sie sehen keinen Sinn darin, auf die Straßen zu gehen, weil es nichts gibt, nicht einmal das Feuer, das nachhaltig etwas verändern könnte", sagt die Journalistin Janevska.

Die Journalisten Matej und Antonija

Die Journalisten Matej Trojachanec und Antonija Janevska

Wenn Hoffnung überwiegt

Während das Nachtleben von Kočani ein halbes Jahr nach der Katastrophe wieder erwacht, sitzen Ana und ihre Freunde Marko (31) und Anastasija (24) auf großen, dunkelgrünen Sitzmöbeln im Jugendzentrum. Sie sind Teil der Initiative "SupportKočani".

Unmittelbar nach der Brandkatastrophe kamen Freiwillige zusammen. Von offizieller Seite habe es keine Informationen gegeben, niemand wusste: Wer ist tot? Wer hat überlebt? Wer ist schwerverletzt? Teilweise hätten Eltern geglaubt, ihre Kinder seien tot, weil sie sie in den Krankenhäusern nicht gefunden hätten, erzählen die jungen Menschen. Aufgrund des Ausmaßes der Katastrophe und der Überforderung der lokalen Spitäler wurden derweil zahlreiche Verletzte in anderen Ländern behandelt. Österreich etwa evakuierte sechs Schwerverletzte nach Wien und Graz. Anas Freundin Viktoria wurde nach Graz evakuiert, wo sie ein Monat lang in Behandlung war. Andrej, ebenfalls in Graz hospitalisiert, lag knapp zwei Monate im Koma.

Über Wochen telefonierten die Freiwilligen Tag und Nacht mit Familien und Opfern. Über eine Website sowie auf Instagram und Facebook dokumentierten sie täglich alle Entwicklungen. "Ich bekam an einem Tag bestimmt hundert Anrufe. Man wurde Ansprechpartner für die Leute, bestellte Cremes, tauschte Informationen mit der Apotheke aus", erzählt Ana.

Man strukturierte Informationen in Listen und sammelte Spenden. Betroffenen Familien wurde dadurch unter anderem ermöglicht, zu ihren verletzten Angehörigen in ausländische Krankenhäuser zu reisen.

Eine junge Frau sitzt auf einem grünen Sitzmöbel in einem großen Raum und schaut auf ihr Handy.

Die 25-jährige Ana, hier im Bild, hat die Brandkatastrophe überlebt. Die US-Flagge steht seit dem Besuch des US-Botschafters im Jugendzentrum. "Aber wenn wir europäische Länder zu Besuch haben, hängen wir die EU-Flagge auf", sagt Ana.

Die Spuren der Tragödie

Was hat der Brand mit der Stadt gemacht, in der jeder jeden kennt - die Verstorbenen wie auch die Überlebenden?

Die Rezeptionistin des Hotels erzählt von zwei Kollegen, die im Feuer ums Leben kamen. Anastasija hat ihren Cousin verloren. Anas Freundin arbeitete im Club hinter der Bar und starb in jener Nacht. Man habe sich über das gemeinsame Engagement gegenseitig Halt gegeben, betonen die Freiwilligen.

Zwischen einer Schnellstraße Richtung Skopje, einer Autowerkstatt und Einfamilienhäusern liegt die Erinnerung in Schutt und Asche. Ein großer, schwarzer Hund an einer Kette bellt ab und zu hinter einem Zaun. Bei näherem Hinsehen tauchen hinter hohen Gräsern das verrußte Dach und ein durchhängendes Absperrband auf. Und ein Polizist in einem großen, dunklen Auto, der durch das heruntergelassene Beifahrerfenster jeden, der etwas zu nahe an das Gebäude herantritt, bestimmt wegweist. Auch ein halbes Jahr nach der Tragödie wird die Disco-Ruine rund um die Uhr bewacht.

Das Dach der ehemaligen Diskothek ist durch das Feuer eingestürzt

Der einzige Club der Stadt Kočani, innen liegt alles in Asche.

Ein Nest für junge Menschen

Die Regierung in Skopje ordnete nach dem Feuer Inspektionen in allen Diskotheken an. Manche schlossen daraufhin freiwillig. Viele wurden allerdings durch eine nicht überstandene Überprüfung dazu gezwungen. Nur wenige Clubs seien jetzt, acht Monate nach der Tragödie, wieder offen, sagen die Freiwilligen von SupportKočani. "Junge Menschen haben keinen Platz, um jung zu sein", benennt eine junge Frau in Skopje die Konsequenzen. Dazu kommt, dass der Osten des Landes noch stärker als andere Regionen Nordmazedoniens von Abwanderung betroffen ist.

Für die Freiwilligen in Kočani ist das ein Auftrag. Mitte August hat die Organisation mithilfe ihres Sponsors A1 ein Jugendzentrum eröffnet. "The Nest" heißt ihr Refugium, eine Mischung aus (Start-up-)Büro und großem WG-Wohnzimmer. "The Nest" soll ein Zuhause für junge Menschen sein, sind sich Ana und Marko einig, sie wollen kreatives Schreiben oder Workshops mit Psychologen anbieten. "Sport, Bildung, Musik – was auch immer Jugendliche haben möchten, versuchen wir ihnen zu geben", sagt Anastasija. Ana, Anastasija und eine weitere junge Frau sind hier für ein Jahr angestellt.

Sechs Menschen sitzen um einen kleinen weißen Tisch herum und reden.

Die Freiwilligen von SupportKocani bekommen spontanen Besuch von drei Psychologen aus Skopje. Sie begleiten die Freiwilligen seit Beginn an.

Ana zeigt auf mehrere, große "Exit"-Schilder in leuchtendem Grün über den Türen ihres Jugendzentrums. Die Markierung von Fluchtwegen ist für sie nicht selbstverständlich. Nach der Tragödie hätten viele Angst vor einer behördlichen Überprüfung gehabt, aber es gab auch eine "kollektive Panik", wie es Anastasija nennt: "Das Pub, in das wir gegangen sind, hat eine Karte mit allen Fluchtwegen aufgehängt", sagt sie.

In ihrem Jugendzentrum wollen sie auf die mentale Gesundheit ihrer Generation achten und verschiedene Gruppen zusammenbringen. "Ich glaube fest daran, dass wir gemeinsam etwas bewirken können", sagt Anastasija. Ana stimmt zu. "Der Fokus liegt darauf, Kočani wieder ein bisschen zurück zum Leben zu bringen." Ausgerechnet in der Stadt Nordmazedoniens, die viele junge Menschen schmerzlich vermisst, ist die Zuversicht für Veränderung groß.

Zwei leuchtend grüne Exit-Schilder hängen über den Türen.

Die leuchtend grünen Notausgangsschilder im Jugendzentrum haben für die Jugendlichen eine besondere Bedeutung.

Dieser Beitrag ist im Rahmen von „eurotours 2025“ entstanden, einem Projekt des Bundeskanzleramtes, finanziert aus Bundesmitteln.

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