Flugzeug wohl abgeschossen, doch Iran streitet alles ab
Die bei Teheran abgestürzte ukrainische Passagiermaschine dürfte von einer iranischen Flugabwehrrakete getroffen worden sein. US-Regierungsbeamte halten das für hoch wahrscheinlich, berichtete der TV-Sender CBS am Donnerstag. Die Beweise haben sich bereits am Donnerstag verdichtet, mittlerweile wird das Bild immer klarer. Bei dem möglichen Versehen kamen 176 Menschen ums Leben.
Das Nachrichtenmagazin Newsweek berichtete unter Berufung auf zwei Pentagon-Mitarbeiter, das der Abschuss wohl versehentlich geschehen sei. Die Annahme: Das iranische Luftabwehrsystem war aktiv, nachdem am Mittwoch vom Iran aus Raketen auf von US-Soldaten genutzte Militärstützpunkte im Irak abgefeuert worden waren.
Flugzeug im Iran wohl abgeschossen
CBS berichtete, dass man "die Signale eines eingeschalteten Radars eines SA-15 (Tor-M1)-Systems empfangen. Satelliten registrierten kurz darauf Infrarot-Blitze von zwei Raketenstarts und kurz darauf einen weiteren Infrarotblitz einer Explosion". Die Explosion dürfte der Einschlag der Rakete in der Boeing 737-800 gewesen sein, die kurz darauf abstürzte.
Die Regierung in Kiew will weiter alle möglichen Versionen untersuchen. „Wir sind nicht bereit, momentan irgendwelche Schlüsse zu ziehen“, sagte der ukrainische Außenminister Wadim Pristaiko am Freitag in Kiew. Zuvor hatten die USA, Kanada und Großbritannien Vorwürfe erhoben, dass die Maschine vom Iran wahrscheinlich abgeschossen worden war.
Die Ermittler aus der Ukraine hätten inzwischen Zugang zu den Flugschreibern bekommen, sagte der Außenminister. Wo diese ausgewertet werden, sei aber noch nicht entschieden. Ebenso hätten die etwa 50 ukrainischen Ermittler Zugang zum Absturzort und den Trümmerteilen erhalten. Sie würden demnächst die Gespräche zwischen der Besatzung und der Flugleitung auswerten. Die ukrainischen Experten arbeiteten mit den iranischen Behörden zusammen, sagte Pristaiko. „Die iranische Seite kooperiert vollumfänglich.“
Iran sucht nach "Ursache für das Feuer"
Der Iran streitet weiterhin ab, dass das Flugzeug von einer Rakete getroffen wurde. "Sollten Geheimdienste wissenschaftliche Belege gefunden haben, dann sollten sie dieser auch veröffentlichten", meinte Ali Abedsadeh, Leiter der iranischen Luftfahrtbehörde. Der Pilot sei zwei Minuten vor dem Unfall mit dem Kontrollturm in Kontakt gestanden und habe gefragt, ob er auf 7.900 Meter steigen dürfe. Mehr wisse man derzeit nicht, betonte Abedsadeh.
Unklar sei, warum das Flugzeug abgestürzt ist. "Wir müssen den Auslöser für das Feuer suchen", sagte Abedsadeh. Die USA solle mit ihren "Psychospielchen" aufhören und keine Fake News verbreiten.
Auswertung der Flugschreiber hat begonnen
Die Ermittlung der Ursache des Absturzes der Passagiermaschine bei Teheran hat begonnen. Iranische und ukrainische Experten hätten ihre Arbeit in einem Labor am Flughafen Mehrabad in der Hauptstadt Teheran aufgenommen, gab Abedsadeh am Freitag im iranischen Fernsehen bekannt.Ihr Ziel sei die Auswertung der beiden schwer beschädigten Flugschreiber - des Flugdatenschreibers und des Aufzeichners der Geräusche in der Pilotenkanzel.
Dabei geht es auch um die letzten Worte des Kapitäns.
Ausländische Experten reisen nach Teheran
Vertreter der USA, Kanadas und Frankreichs werden sich an den Ermittlungen beteiligen. Die Experten würden nach Teheran reisen und an den Beratungen teilnehmen. Die Untersuchungen werden vom Iran geleitet.
Die Ukraine hat nach eigenen Angaben von den USA wichtige Daten zum Absturz der Passagiermaschine im Iran erhalten. Außenminister Wadym Prystaiko schrieb auf Twitter, er selbst und Präsident Wolodymyr Selenskyj hätten die Informationen von US-Vertretern bekommen. Die Daten würden nun von Experten ausgewertet. Details nannte Prystaiko nicht.
Kanada und Großbritannien bestätigen US-Angaben
Auch Kanada geht inzwischen von einem Abschuss des Jets aus, sagte Ministerpräsident Justin Trudeau in einer TV-Ansprache am Donnerstag. Mehr als 60 Passagiere sollen iranischstämmige Kanadier gewesen sein.
Genauso der britische Premier Boris Johnson. Er sagte, die Beweislage deute daraufhin, dass die Maschine von einer iranischen Boden-Luft-Rakete getroffen wurde - möglicherweise unabsichtlich.
"Wir glauben, dass es wahrscheinlich ist, dass dieses Flugzeug durch eine iranische Rakete abgeschossen wurde", sagte US-Außenminister Mike Pompeo am Freitag im Weißen Haus. Pompeo betonte aber, man müsse die Untersuchung abwarten.
"Es ist tatsächlich sehr wahrscheinlich, dass das Flugzeug von iranischen Raketen abgeschossen wurde", sagte der niederländische Außenminister Stef Blok am Freitag in Brüssel. Ähnlich äußerte sich sein luxemburgischer Kollege Jean Asselborn, der meinte: "Es sind mutwillig 176 Leben vernichtet worden."
Video veröffentlicht
Christiaan Triebert, Journalist bei der New York Times, hat auf Twitter ein Video gepostet, das den Einschlag einer Rakete am Nachthimmel von Teheran zeigen soll.
Passagierflugzeug Abschuss Teheran
Das Video wurde laut New York Times auf seine Echtheit überprüft - Ort und Zeit sollen zum Signalverlust der Passagiermaschine passen. Für Sekundenbruchteile ist auf dem Videomaterial der Zusammenprall zu hören. Das Flugzeug dürfte nach der Explosion noch einige Minuten weitergeflogen sein.
Weitere Indizien sprechen für die Abschuss-These: Nahe des Abschussortes wurde offenbar eine Raketenspitze vom Typ 9M330 oder 9M331 "Fakel" entdeckt. Raketen dieses Typs werden von radargesteuerten mobilen Kurzstreckenflugabwehrsystemen des russischen „Tor"-Systems verschossen - wie es eben auch der Iran verwendet. Außerdem soll das Flugzeug-Wrack Einschusslöcher aufweisen. Dazu passende Fotos kursierten bereits kurz nach dem Absturz auf Social Media.
"Ich habe meinen Verdacht"
US-Präsident Donald Trump heizte Mutmaßungen über die Absturzursache der Maschine bereits am Donnerstag an. "Ich habe meinen Verdacht", sagte Trump im Weißen Haus. "Ich will das nicht sagen, weil andere Menschen auch diesen Verdacht haben. Es ist eine tragische Angelegenheit." Trump sagte weiter: "Jemand könnte einen Fehler gemacht haben."
Einige Menschen vermuteten, dass es einen mechanischen Fehler gegeben haben könnte. Er persönlich glaube, das stehe nicht zur Debatte. Auf die Frage, ob die Maschine aus Versehen abgeschossen worden sein könnte, sagte Trump allerdings: "Das weiß ich wirklich nicht."
Bei dem Absturz inmitten des bewaffneten Konflikts zwischen dem Iran und den USA waren am Mittwoch mehr als 170 Menschen ums Leben gekommen. Die britische Regierung forderte am Donnerstag eine "vollständige und transparente Untersuchung" zur Ursache des Absturzes.
Wie begann der tragische Flug PS752?
Mit dem Flugziel Kiew hob die knapp vier Jahre alte Boeing 737-800 am Mittwoch in der Früh um 06.13 Uhr Ortszeit mit 176 Menschen an Bord von der Startbahn 29R des Teheraner Iman-Khomeini-Flughafens ab. In einer Zeit extremer Spannung wegen eines drohenden militärischen Konflikts Iran-USA erhielt der Pilot die Freigabe zum Steigflug auf 26.000 Fuß (7.925 Meter), um Funkkontakt mit der Flugsicherung in Mehrabad aufzunehmen. Fünf Minuten nach dem Abheben hatte der zweistrahlige Jet eine Höhe von knapp 8.000 Fuß (2.440 Meter) erreicht, als er nach einer Rechtskehre an Höhe verlor und vom Radar verschwand. Einen Notruf der Besatzung gab es nicht. Augenzeugen am Boden und in der Luft berichteten laut iranischer Luftfahrtbehörde CAO, der Jet sei brennend in einen Park des Teheraner Vororts Sabashar gestürzt.
Worauf wird die These des Abschusses gestützt?
Die ersten Trümmerbilder aus Teheran lösten Spekulationen aus. Wenige Stunden nach dem Absturz war für den Unfallforscher Jan-Arwed Richter vom Flugsicherheitsbüro JACDEC klar: "Es sieht so aus, als wären Projektile durch die Außenhaut und die Tragfläche geschleudert worden - was immer das heißen mag." Später tauchten Videos auf, die einen Blitz am Nachthimmel zeigten. In Verbindung mit Berechnungen des Flugwegs nährten sie den Verdacht, dass eine Rakete mit im Spiel war. Kanada und Großbritannien verweisen daher auf Hinweise, die einen Abschuss durch eine iranische Rakete nahelegen. Schwierig ist, die Echtheit solcher Videos schnell unabhängig zu prüfen.
Wie soll der Abschuss erfolgt sein?
Flugabwehrraketen explodieren meist in direkter Nähe ihres Ziels und richten mit einem Splitterregen aus Kleinst-Projektilen maximalen Schaden an. Die Regierung in Kiew hatte nicht ausgeschlossen, dass die Boeing von einer Rakete des russischen Typs "Tor" getroffen worden sein könnte. Der Verteidigungsexperte Franz Klinzewitsch im russischen Föderationsrat wies das zurück.
Was sagt der Iran?
Die iranische Flugsicherheitsbehörde CAO spricht von einem "technischen Problem". Die Spuren an der Aufschlagstelle deuteten an, dass das Flugzeug zunächst Richtung Westen aus dem Airport-Luftraum ausflog, "aber nach einem technischen Problem nach rechts schwenkte und eine Flugspur hatte, die eine Rückkehr zum Flughafen anzeigte", heißt es in einem CAO-Bericht. Erwähnt wurde zuvor auch ein Triebwerksproblem. Eine Boeing 737-800 lässt sich allerdings auch mit einem Triebwerk in der Luft halten.
Gab es bereits irrtümliche Abschüsse von Verkehrsjets?
Ja. In Zeiten extremer Spannung und höchster militärischer Bereitschaft gab es immer wieder Abschüsse von Verkehrsflugzeugen. Das betraf auch den Iran: Im Jahr 1988 wurde ein iranischer Airbus versehentlich vom US-Kriegsschiff "Vincennes" abgeschossen.
Wie erkennen Radargeräte, ob es sich um Freund oder Feind handelt?
Militärflugzeuge haben ein sogenannte IFF-System an Bord, das für die Erkennung von Freund oder Feind bestimmte automatische Signale sendet. Zivile Klein- und Großflugzeuge senden zur Identifizierung ebenfalls automatische Transponder-Codes, die ihnen von der Luftaufsicht zugeordnet werden. In der Theorie sind damit eigentlich Zweifel ausgeschlossen. In der Praxis ist es aber - gerade bei älteren Raketensystemen - nicht ausgeschlossen, dass ein ziviles Flugziel irrtümlich ins Fadenkreuz gerät.
AUA streicht Teheran-Flüge bis 20. Jänner
Am Donnerstagabend strich die AUA wegen der "veränderten Einschätzung der Sicherheitslage" dann doch ihre Flüge nach Teheran. Eine bereits am Weg befindliche Maschine drehte Donnerstagabend in Sofia wieder um, teilten Austrian Airlines der APA mit.
Bis 20. Jänner wird die AUA vorerst keine Teheran-Flüge durchführen, teilte sie am Freitag mit.
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