Ex-Finanzchef des Vatikans von Missbrauchsvorwürfen freigesprochen

Cardinal George Pell to be released after convictions overturned by High Court, in Australia
Das Oberste Gericht Australiens hob die Verurteilung des Kardinals George Pell auf.

Der australische Kardinal George Pell ist in einem Berufungsverfahren vom Vorwurf des Kindesmissbrauchs freigesprochen worden. Das Oberste Gericht Australiens hob am Dienstag die bisherige Verurteilung des früheren Finanzchefs des Vatikans in allen Punkten auf. Weniger als drei Stunden nach dem Richterspruch kam der 78-Jährige dann auf freien Fuß, wie ein AFP-Fotograf beobachtete.

Pell war seit März vergangenen Jahres in Haft gewesen. Er war der ranghöchste katholische Geistliche weltweit, der im Zuge der Missbrauchsskandale verurteilt worden war. Seine Haftstrafe belief sich auf sechs Jahre.

Das Oberste Gericht gelangte nun aber zu dem Schluss, dass es keine hinreichenden Belege für die gegen den Kardinal vorgebrachten Anschuldigungen gebe. Es bestehe die "bedeutsame Möglichkeit", dass Pell als "unschuldige Person" verurteilt worden sei, hieß es in dem einstimmig ergangenen Urteil, das aufgrund der Coronavirus-Beschränkungen in einem fast leeren Gerichtssaal in Brisbane gesprochen wurde.

Zwei Chorknaben

Pell war im Dezember 2018 von einem Geschworenengericht schuldig befunden worden, sich Mitte der 90er Jahre in der Kathedrale von Melbourne an zwei Chorknaben vergangen zu haben. Noch im vergangenen August hatte ein Berufungsgericht im Bundesstaat Victoria das Urteil bestätigt. Die Aussage eines früheren Chorknaben, der heute Mitte 30 ist, war dabei maßgeblich. Pell beteuerte jedoch stets seine Unschuld.

Pell kämpft um seinen Freispruch

Pell während des Prozesses

Verteidigung verwies auf Schwächen in Zeugenaussagen

Das Gericht befasste sich seit März mit dem letzten möglichen Einspruch des 78-Jährigen. Bei seiner Entscheidung folgte das Gericht den Argumenten der Verteidigung, die auf Schwächen in Zeugenaussagen hingewiesen hatte.

Pells Verteidiger argumentierten, dass diese nicht ausreichend war, um die Schuld des Kardinals zweifelsfrei festzustellen. Noch eines der Argumente: Nach einer Sonntagsmesse sei es unmöglich gewesen, dass ein Erzbischof fünf oder sechs Minuten in der Sakristei mit zwei Chorknaben alleine war - so soll es bei einem Übergriff gewesen sein.

Bei dem anderen Fall, für den Pell verurteilt wurde, waren laut seiner Verteidigung keine Zeugen dabei. Die Anklage habe zudem die Beweislast umgedreht: Statt dass sie Pells Schuld beweist, musste die Verteidigung seine Unschuld beweisen.

Pell sieht "Unrecht" bereinigt

Durch den Freispruch sei ein "bedeutendes Unrecht" bereinigt worden, erklärte Pell am Dienstag. Er hege jedoch keinen Groll gegen den Mann, der ihn des Missbrauchs beschuldigt. Die Verurteilung des Kardinals hatte überwiegend auf der Aussage eines der beiden angeblichen Missbrauchsopfer beruht. Das zweite angebliche Opfer war 2014 an einer Überdosis Drogen gestorben und hatte sich nie zu den Vorwürfen öffentlich geäußert.

Kurz nach dem Schuldspruch im Dezember 2018 war Pell aus dem Kardinalsrat, dem Beratergremium des Papstes, entlassen worden. Später wurde er auch als Finanzchef des Vatikans abgesetzt.

Fassungslosigkeit bei Vater

Die juristischen Probleme des Kardinals sind nach dem Freispruch aber wohl nicht vorbei. Auf ihn kommen voraussichtlich mehrere Zivilklagen zu. Der Vater des angeblichen Missbrauchsopfers, das 2014 verstarb, fasst eine Klage auf Entschädigungszahlungen ins Auge. Der Vater sei "empört" über den Freispruch und befinde sich in einem Zustand der "völligen Fassungslosigkeit", sagte dessen Anwältin Lisa Flynn.

Papst betet für unschuldig verurteilte Menschen

Nur wenige Stunden nach dem überraschenden Freispruch für Pell hat Papst Franziskus bei der Frühmesse im Gästehaus Santa Marta am Dienstag für Personen gebetet, die wegen eines ungerechten Urteils unter gerichtlicher Verfolgung leiden. In Anspielung auf die Verfolgung, die Jesus erlitten hatte, bat Franziskus um Gebete für Opfer gerichtlicher Fehlurteile.

"In diesen Tagen der Fastenzeit haben wir gesehen, welche Verfolgung Jesus erdulden musste und wie unerbittlich die Schriftgelehrten gegen ihn vorgegangen sind: Er wurde von Menschen voller Hass verurteilt, obwohl er unschuldig war. Ich möchte heute für alle Menschen beten, die aus Hass unschuldig verurteilt werden", sagte der Papst in seinen Gebetsintentionen zu Beginn der Morgenmesse.

Ein Priester, der angeklagt und nach einem achtjährigen Prozess freigesprochen wurde, zählt auch zu den Autoren der Meditationen, die für den Kreuzweg des Papstes am Karfreitag redigiert wurden. Die Meditationen befassen sich diesmal mit dem Thema Häftlinge. Zu den Autoren der Texte zählen diesmal auch ein Häftling, der wegen Mordes verurteilt wurde, sowie eine Familie, die ein Mordopfer zu beklagen hat. Die Texte zu den 14 Stationen, die den Weg Jesu zum Kreuz nachzeichnen, werden dieses Jahr wegen der Coronavirus-Epidemie nicht vor dem Kolosseum gelesen, sondern im Vatikan.

 

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