Von Kalabrien nach Sizilien: Die Brücke, die mehr trennt als sie verbinden kann

Modell der Brücke zwischen Kalabrien und Sizilien
In der sizilianischen Stadt Messina geht es wieder einmal um die Brücke, die Sizilien mit dem „Continente“, dem Stiefel, verbinden soll. Die Politik will sie, die NATO findet auch, dass sie der Verteidigung dienen würde. Bis jetzt überquert man die Meeresenge per Fähre, auch die Züge. Die Befürworter des Projekts meinen, dies sei vollkommen aus der Zeit gefallen, Sizilien brauche eine stabile Verankerung an das Festland.
Der Großteil der vom Bau direkt Betroffenen sieht das ganz anders. Nur wenigeb Einwohner denken, dass es dem wirtschaftlichen Aufschwung von Sizilien und Kalabrien zugute kommen würde. Worum es ihnen vor allem geht, sind die drohenden Enteignungen und der Naturschutz.
Über die Brücke, die Kalabrien und Sizilien verbinden soll, begann man schon Ende des 19. Jahrhunderts zu fantasieren. In den 1970er-Jahren wurden die Diskussionen ernsthafter. Bis dann der mittlerweile verstorbene Premier Silvio Berlusconi in der Brücke über die Meeresenge eine Art Vermächtnis seiner selbst sah. Die Finanz- und Wirtschaftskrise machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Jetzt ist es Infrastrukturminister und Vizepremier Matteo Salvini, der den Bau zur Mission gemacht hat.
Capopeloro ist ein Stadtviertel von Messina am nordöstlichen Zipfel von Sizilien. Dort, wo die Insel der kalabrischen Küste am nächsten ist. Hier soll die Brücke errichtet werden. Die Distanz zwischen den zwei Küsten beträgt etwas mehr als drei Kilometer. Carmela, um die 40 Jahre, sitzt an einem der Tische der Eisdiele vor dem Strand und genießt ihr Pistazieneis. Auf die Frage, wie sie zur Brücke steht, erwidert sie argwöhnisch: „Wer schickt Sie? Die Gegner der Brücke, die von No Ponte?“. Dann fügt sie hinzu: „Ich bin pro Brücke, weil sie vor allem für die jungen und kommenden Generationen einen großen Vorteil darstellen wird. Und außerdem, Salvini hat sein Wort gegeben.“

Fähre nach Messina
Nicht weit entfernt sitzt Filippa auf der Holzbank vor ihrem Fischlokal am Strand. Sie will von der Brücke nichts wissen. „Ich lebe seit 1977 hier, und nein ich denke nicht, dass sie uns was bringen würde. Im Gegenteil, sie läuft ja über unsere Köpfe, mit einer Ausfahrt die von hier 30 Kilometer entfernt ist. Warum sollte einer dann umkehren um nach Messina Zentrum oder Capopeloro zu kommen?“
Sollte die Brücke eines Tages stehen, hätte sie mit 3,300 Meter die größte Mittelspannweite weltweit. Gestützt auf zwei 399 Meter hohen Pfeilern, soll sie insgesamt 3,666 Meter lang, 60,4 Meter breit sein, und sich 72 Meter über den Meeresspiegel erheben. Aktuell belaufen sich die Gesamtkosten auf 13,5 Milliarden Euro, wobei sie neben dem Bau der Brücke auch die nötigen Verbindungsstraßen, -Schienen und Bahnhöfe erfassen.
Herr Salvatore zeigt auf den wunderschönen Ausblick übers Meer und meint: „Die Überfahrt mit der Fähre dauert doch nur 20 Minuten und hat auch etwas Romantisches. Wir brauchen die Brücke nicht. Und außerdem erlaubt die Fähre den LKW-Fahrern ein kurzes Verschnaufen.“

Italiens Verkehrsminister Salvini vor einem Modell der Brücke
Dem widerspricht Oliviero Baccelli, Leiter der Sparte Transporte im Forschungszentrum GREEN der Mailänder Wirtschaftsuniversität Bocconi. Er kritisiert die aktuellen absolut ineffizienten Verbindungen, gleich, ob öffentliche Fähre oder privates Gleitboot. „Eine feste Verbindung zwischen Messina und Reggio Calabria, die immerhin zusammen 800.000 Einwohner zählen, würde nicht nur wirtschaftlich helfen und den Einwohnerschwund stoppen.“ Die Einheimischen sind wiederum der Meinung, dass es genügen würde, mehr Fähren einzusetzen um die Überfahrtfrequenz zu erhöhen. Jetzt fährt eine alle 40 Minuten. Nach 22.30 werden sie noch seltener.
Drohende Enteignungen
Aber wirklich zum Kochen bringt die Gemüter allen voran die vorgesehenen Enteignungen. Die Messinesi sind am meisten davon betroffen. Es geht um knapp 300 Wohneinheiten, vorwiegend Einfamilienhäuser, die zuerst den Baustellen und dann der Brücke Platz machen müssen.
Das staatliche Unternehmen Stretto di Messina Spa bietet den Betroffenen bei gütiger Vereinbarung zum Marktpreis ihrer Immobilie zusätzliche 15 Prozent und außerdem bis zu 40.000 Euro Umzugsspesen.
„Was soll ich mit dem Geld, ich lebe seit 50 Jahren hier, bis vor kurzem noch mit meinem verstorbenen Mann“, sagt Frau Filomena eine rüstige ältere Dame. Sie gehört zu jenen, denen die Enteignung droht. Von ihrem Haus aus, das in höherer Lage ist, hat man einen einmaligen Blick über die Meeresenge. „Und außerdem, wohin sollte ich?“ Die Enteigneten werden ausbezahlt, aber ein neues Zuhause müssen sie sich selber suchen.
Daniele Ialacqua von Beruf Lehrer gehört zum Vorstand des Verbands NO PONTE, Keine Brücke. Der Verband organisiert jeden Freitag ein öffentliches Treffen zu einem bestimmten Thema und lädt dazu Experten ein. Ein großes Thema ist die Machbarkeit der Brücke, immerhin wurde Messina 1908 von einem Erdbeben vollkommen zerstört. Auf der Website von Stretto di Messina Spa liest man, dass die Brücke einer Erbebenstärke von 7,1 der Richterskala, also derselben von 1908, standhalten würde. Ganz anderer Meinung ist Ingenieur Antonio Risitano, der sich seit Jahren intensiv mit dem Thema beschäftigt. Er vertritt die Auffassung, so eine große Mittelspannweite könne die gleichzeitige Last von Zügen, Autos und LKWs nicht aushalten.
Und dann ist da noch das Thema Naturschutzgebiet. „Gerade hier in Capopeloro befindet sich eine der wichtigsten Durchzugsstrecken der Zugvögel“ erklärt Ialacqua. „Man schätzt, dass hier an die 5 bis 5,5 Millionen Vögel vorbeiziehen.“ Die Höhe der Brücke könnte für viele der Zugvögel zum Problem werden. Dessen sind sich die Baubeauftragten selber bewusst, weswegen auch ein Spesenposten vorgesehen, für die regelmäßig Entsorgung der Vogelkadaver.
Der erste Stein für die Brücke hätte schon im Sommer 2024 gelegt werden sollen. Doch bis jetzt gibt es dazu keine Infos. Bauschluss sollte spätestens Mitte der 30er Jahre sein. „Es geht gar nicht um wann“, meint Marco, ein junger Lokalbetreiber. Und er stelle sich gar nicht die Frage ob die Brücke hilfreich wäre. „Denn die wird niemals zu Ende gebaut werden. Uns werden die Pfeiler und eine verschandelte Natur bleiben. Für uns Sizilianer wäre das nicht Neues.“
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