Auf einen Kaffee in Englands roter Telefonzelle

Ein Mann verkauft Tiramisu und Street Food aus einer roten Telefonzelle in London.
Im Handy-Zeitalter nutzlos geworden, werden die berühmten roten Kabinen vielerorts umfunktioniert: in Bibliotheken, Straßenlokale oder Galerien.

aus Lynmouth Georg Szalai

Mit seinem malerischen Hafen bietet Lynmouth in der englischen Grafschaft Devon klassische Küsten-Romantik. Zum Bild des britischen Idylls passt auch eine der weltberühmten roten Telefonzellen. Bei diesem Exemplar der Designikone gilt allerdings: kein Anschluss unter dieser Nummer. "Lynmouth Library" steht auf der zur Bildungseinrichtung umfunktionierten Box. "Gerne können Sie sich während Ihres Besuchs ein Buch ausleihen", ist auf einem Hinweiszettel zu lesen: "Bitte stellen sie es am Ende Ihrer Reise oder bei Ihrem nächsten Besuch zurück."

Im Handy-Zeitalter hat der Touristen-Darling, von dem es einst mehr als 60.000 im Land gab, in seiner ursprünglichen Funktion vielerorts ausgedient. Nur mehr 3.600 Telefonzellen werden noch für Anrufe genutzt, meldete British Telecommunications (BT) im Juli.

Der ehemalige Telekom-Monopolist verkauft deshalb so manch ausgediente Häuschen über einen offiziellen Online-Händler: Je nach Zustand kosten sie 1.750 Pfund (2.080 Euro) oder 2.900 Pfund (3.450 Euro), ohne Mehrwertsteuer. Tausende Boxen in London und im Rest des Landes sind aber denkmalgeschützt und dürfen nicht entfernt werden. Seit 2008 hat BT daher solche Exemplare von Gemeinden, Grundbesitzern und gemeinnützigen Organisationen um ein Pfund pro Stück für neue Einsatzbereiche "adoptieren" lassen.

Telefonzellen retten Leben

So hat der Community Heartbeat Trust Hunderte Telefonzellen in Standorte für Defibrillatoren umfunktioniert. Andere Neubesitzer bieten Büchertausch an. In Cheltenham wurden zehn Telefonzellen in kleine Galerien umgewandelt, die Werke lokaler Künstler ausstellen. Und in Schottland dient eine rote Kabine neben einem Pub als zusätzliche Bar. "Wir bieten die Möglichkeit, Telefonzellen wieder zu einer Bereicherung für Menschen vor Ort zu machen", sagt die Firma über ihr "Adopt a kiosk"-Programm.

Nicht erfreut ist BT laut Economist allerdings über einen Mann, der mehr als 100 der roten Hütten über einen Wohlfahrtsverband "adoptiert" und dann an eine von ihm mitgegründete Firma verkauft haben soll. Weil diese sie teuer zum Kauf anbietet oder zur kommerziellen Nutzung vermietet, habe man ihm mit rechtlichen Schritten gedroht. Voriges Jahr kaufte die Künstlerin Degard eine dieser Zellen beim Britischen Museum für 32.000 Pfund (38.090 Euro). Nun bewirbt die "Malerin von Auren" in ihrem sogenannten "Visionary Brit Museum", der angeblich "kleinsten Galerie in London", ihre Kunstwerke.

Eine rote Telefonzelle in England dient als öffentliche Bibliothek.

In Lynmouth kann man Bücher aus einer Telefonzelle leihen. 

Süßes aus der Kabine

Verspieltheit und Nostalgie helfen anderen Telefonzellen mit neuem Zweck zu Aufmerksamkeit: Im Londoner Stadtteil Holborn erfreut etwa "The Manila Brew", das sich "London’s smallest coffee shop" nennt, Besucher und soziale Medien mit Kaffee und in der philippinischen Heimat des Betreibers populärem Gebäck.

Nur einige Minuten entfernt offeriert der Italiener Daniel im "Walkmisu" am Russell Square Espresso und Süßes zum Mitnehmen. Sein Straßencafé besteht gleich aus zwei der ikonischen Touristen-Magneten. "Original Tiramisu and Street Food", bewerben die Boxen. "Ich miete seit zwei Jahren, bin aber nicht der Einzige", erzählt Daniel von den diversen Telefonzellen-Cafés, die es mittlerweile in Großbritannien gibt.

Auch so manche, die hier nichts kaufen, zücken im Vorbeigehen ihr Handy. Nein, nicht zum Telefonieren, sondern um Fotos zu machen.

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