Skandal im Fußball: Afrikanische Kinder und der schmutzige Handel mit Träumen

Hoffnung auf Wohlstand: Kinder-Fußballer werden aus Afrika nach Europa geholt und dann ihrem Schicksal überlassen.
Kanu, Jay-Jay und Finidi sind Geschwister. Alle drei, noch minderjährig, leben mit Mutter Rose und Großvater John in Makoko, einem Slum der nigerianischen Millionenmetropole Lagos. Bettelarm, aber mit einer Gabe: Sie spielen Fußball wie Götter. Und das spricht sich schnell herum.
Afrikanische Geschäftsmänner, die sich als Spieleragenten ausgeben, heuern sie für die renommierte Football Academy Lagos an.
Die Jugendlichen, von denen hier die Rede ist, sind die Protagonisten des soeben in Italien erschienenen Kriminalromans „La colpa è di chi muore“, auf Deutsch „Schuld ist, wer stirbt“, des Wirtschaftsjournalisten Marco Bellinazzo.
Sie sind Fantasiefiguren, ihre Geschichte fußt aber auf einem real existierenden Problem: dem Handel mit Babyfußballern, vorwiegend aus Afrika. Schätzungen zufolge sollen es an die 15.000 Jugendliche sein, die jährlich per Flug oder über die Mittelmeerroute dem Traum einer glorreichen Karriere folgen. Karrieren à la Victor Moses oder Naby Keita, Karrieren für die die Familien, manchmal sogar das ganze Dorf, bereit sind alles Hab und Gut zusammenzuschaufeln.
Goldene Einnahmequelle
Ein lukratives Geschäft, das dem Netzwerk oft selbst ernannter afrikanischer Spieleragenten geschätzte 200 bis 300 Millionen Euro im Jahr einbringt. Ein Geschäft, das auf einem leeren Versprechen fußt: „Einmal in Europa angekommen, werden die meisten Jungs ihrem Schicksal überlassen. So geraten sie in die Fänge der organisierten Kriminalität oder gehen überhaupt vor die Hunde“, heißt es im Buch.
Für Kanu, Jay-Jay und Finidi kommt es zwar nicht so schlimm, das große Los haben aber auch sie nicht gezogen. Der Flug von Lagos nach Paris lässt sie noch nichts Böses ahnen. Ihre Identität wurde zwar gefälscht, behandelt werden sie aber, als seien sie wirklich Söhne wohlhabender Eltern. Erst als sie von einem der Mittelsmänner, den sie schon in Lagos gesehen hatten, in einem trostlosen Pariser Vorortviertel untergebracht werden, schwant ihnen Übles.
Trainiert wird mit Lokalmannschaften der untersten Ränge und nur einer der drei Brüder wird zu Geld kommen. Jedoch nicht als Spieler, sondern weil er einwilligt, bei manipulierten Spielen mitzuwirken.
Nichts im Buch ist frei erfunden. Bellinazzo hat ehemalige Nachwuchstalente getroffen. Sie erzählten ihm diese Geschichten, berichteten von Demütigung, Verzweiflung bis hin zum Selbstmord. Da es aber keine stichhaltigen Beweise dafür gab, entschloss der Autor sich, im Stil eines investigativen Krimis darüber zu schreiben: „Für meine Zeitung, il Sole 24 Ore, beschäftige ich mich mit dem Thema Fußball und Finanzen“, erzählt er dem KURIER. „Und weil es immer wieder Meldungen über gefälschte Identitäten bei afrikanischen Fußballern gab, bin ich der Sache nachgegangen.“
Meistens wird nicht nur der Name gefälscht, sondern auch das Alter. Den Regeln des Dachverbands FIFA zufolge ist der internationale Transfer von Minderjährigen – abgesehen von wenigen Ausnahmen – verboten. In einem der letzten eklatanten Fälle, 2021, waren der Spieler Silas Katompa Mvumpa und der VfB Stuttgart verwickelt. Auch bei Mannschaften wie FC Barcelona, Chelsea und FC Spezia wurden in der Vergangenheit dergleichen Missstände entdeckt.
Bagatelldelikt
Die Verurteilungen betrafen aber nur die Identitätsfälschung, nicht etwaige Verstrickungen mit dem in Afrika betriebenen Handel von minderjährigen Spielern. Überhaupt geht es bei diesem „Handel“ meistens nur am Rande um den Nachwuchs.
Fußball ist für Afrika aktuell eine der wichtigsten Geldquellen, die andere Staaten geschickt zu nutzen wissen. „Die Volksrepublik China, betreibt zum Beispiel seit den 1970er-Jahren eine sogenannte Stadium Diplomacy. Peking schenkt den afrikanischen Staaten Fußballstadien, die auch Geld einbringen und sichert sich im Gegenzug wichtige Rohstoffe.“
Und auch die Fußballakademien sind oft nur die seriöse Fassade, mit der sich Investmentfonds tarnen, die ihre Einkünfte in Steueroasen wie den Cayman Inseln aber auch den Niederlanden und Luxemburg verstecken. Die ganze Branche zu verteufeln, wäre falsch, meint Bellinazzo, etwas mehr Aufmerksamkeit seitens der zuständigen Fußballinstitutionen wäre aber vonnöten.
Kommentare