80 Prozent werden sich anstecken: China fürchtet heftige Corona-Infektionswelle

Zuletzt war am 3. April in Wuhan eine Infektion festgestellt worden
Mit Ausstieg aus Null-Covid-Strategie wird sich Virus im Milliardenvolk schneller verbreiten - Krankenhäuser müssen sich wappnen - Mehr Impfungen wären nötig

Nach den Lockerungen der strikten Null-Covid-Maßnahmen in China rechnen Experten mit einer massiven Infektionswelle. Die große Mehrheit der 1,4 Milliarden Chinesen wird sich nach Ansicht eines Regierungsberaters letztlich mit dem Coronavirus infizieren. Der frühere Vizedirektor des nationalen Gesundheitsamtes, Feng Zijian, geht davon aus, dass sich am Ende 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung mit dem Virus anstecken werde, wie Staatsmedien am Donnerstag berichteten.

"Egal, wie die Maßnahmen angepasst werden, die meisten von uns werden sich einmal infizieren", betonte der Experte. In der ersten Welle dürfte die Infektionsrate nach Modellrechnungen rund 60 Prozent erreichen. Es müssten "angemessene Maßnahmen" ergriffen werden, um den Höhepunkt dieser Welle niedrig zu halten und die Belastung des Gesundheitswesens zu verringern, sagte Feng Zijian bei einem Online-Forum der Pekinger Tsinghua-Universität. Nach dem jüngsten Ausbruch in Peking erleben Krankenhäuser der Hauptstadt heute schon einen starken Zulauf von Infizierten und Personalmangel.

"Die Notaufnahme ist voll mit Patienten", schilderte eine Schwester dem Magazin "Yicai". "Viele Patienten, die in die Notaufnahme kommen, erweisen sich nach einem PCR-Test als positiv." Das Personal müsse sich darauf vorbereiten, sich selbst zu infizieren. Ein Anästhesist in einem anderen Krankenhaus berichtete, die Definition von Kontaktperson werde dort schon nicht mehr so eng gefasst, um - wegen der dann erforderlichen Isolation - Personalmangel zu vermeiden.

In Ärztekreisen zirkuliere ein Aufsatz, wonach die nächsten ein, zwei Monate "der dunkelste Moment" für das medizinische Personal werden, schrieb das Magazin. "Positive Patienten stapeln sich in der Fieberklinik, und es gibt viele Komplikationen", berichtete ein Intensivmediziner eines Hospitals.

Der Höhepunkt der Welle werde "enormen Druck" auf das medizinische System ausüben, warnte Experte Feng Zijian. Es müssten Vorbereitungen getroffen werden. Auch sei wichtig, die Impfungen zu beschleunigen - besonders für ältere Menschen mit chronischen Krankheiten. Wer nicht komplett geimpft sei, solle das schnell nachholen. Der Fachmann gehörte zu acht Experten, die Vizepremier Sun Chunlan vergangene Woche beraten hatten, bevor Chunlan von einem "neuen Stadium" im Vorgehen gegen das Virus sprach, das jetzt "weniger krankheitserregend" sei.

Nach einer Protestwelle Ende November gegen die drakonischen Null-Covid-Maßnahmen hatte die Regierung am Mittwoch eine Kehrtwende hingelegt und weitreichende Erleichterungen bei Lockdowns, Quarantäneregeln, Testpflicht und Reisen in China angekündigt. So soll es für Infizierte ohne Symptome oder mit leichten Krankheitsverläufen grundsätzlich möglich sein, zuhause in Isolation zu gehen. Auch Kontaktpersonen droht nicht mehr wie bisher das Quarantäne-Lager. Sie sollen sich ebenfalls zuhause isolieren können.

Die Pflicht zu häufigen PCR-Tests und die ständige Kontrolle über die Corona-App zum Einscannen soll auch gelockert werden. Behörden in Peking verlangten von Besuchern aber auch am Donnerstag weiter einen negativen Test aus den vergangenen 48 Stunden. Ohnehin sind weiter viele Restaurants, Geschäfte und Schulen in der Hauptstadt geschlossen, während viele Beschäftigte im Homeoffice arbeiten.

Für Reisen innerhalb Chinas sollen aber künftig auch kein negativer Test und kein Nachweis der Unbedenklichkeit über die Corona-App mehr erforderlich sein. Lockdowns sollen nur noch gezielt über einzelne Gebäude, Stockwerke oder Haushalte verhängt werden - und nicht mehr "willkürlich" auf ganze Stadtbezirke oder Straßenzüge ausgeweitet werden, wie die Regierung anordnete.

Statt die Zahl der Infektionen mit rigorosen Maßnahmen auf Null bringen zu wollen, wird China mit diesen Lockerungen jetzt wohl auch wie der große Rest der Welt versuchen, mit dem Virus zu leben. Die Null-Covid-Strategie hatte zu großem Unmut im Volk und enormen Belastungen für die zweitgrößte Volkswirtschaft geführt, während die strikten Maßnahmen gegen die neuen, leicht übertragbaren Omikron-Varianten des Virus immer weniger wirksam waren.

Internationale Gesundheitsexperten äußerten wiederholt ihr Unverständnis darüber, dass moderne ausländische mRNA-Impfstoffe in China immer noch nicht zugelassen sind. Es wurde auch gewarnt, dass noch keine natürliche Immunität im Milliardenvolk vorhanden sei, da es bisher nur relativ wenige Infektionen in China gegeben habe. Bei vielen Chinesen seien die letzten Impfungen oder der Booster auch schon längere Zeit her, was ein Problem werden könnte.

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