764: Das System hinter den sadistischen Kinderfängern im Internet
Jugendliche werden über das Internet radikalisiert (Symbolbild)
Der 13-jährige Jay Taylor aus Texas sucht Freunde im Internet und nimmt sich wenig später vor laufender Kamera das Leben. Der Suizid wird live im Internet gestreamt. Zuseher bejubeln den Tod des Kindes.
In den Selbstmord getrieben wurde der 13-Jährige von einem damals 17-jährigen Mann aus Hamburg, der sich selbst online "White Tiger" nennt. Er prahlte in Onlinepostings: "Jemand hat sich wegen mir vor der Kamera umgebracht" und "sagt Bescheid, wenn ihr das Video haben wollt", berichtet der Spiegel, dem die Onlinepostings vorliegen.
Jay starb 2022. Das FBI (Federal Bureau of Investigations) ermittelte, warnte die deutschen Behörden. Erst im Oktober 2025 wurde Shahriar J., wie "White Tigers" bürgerlicher Name ist, in Hamburg in der Wohnung seiner Eltern verhaftet.
Er soll mehrere Dutzend Kinder online gequält haben. Die Hamburger Staatsanwaltschaft hat Anklage, unter anderem wegen Mordes, gegen ihn erhoben. Dem mutmaßlichen Täter werden insgesamt 204 Straftaten zur Last gelegt - jeweils verübt in mittelbarer Täterschaft. Und der 13-jährige Jay ist kein Einzelfall. "White Tiger" wird versuchter Mord in fünf weiteren Fällen vorgeworfen.
Jüngst beantragten die Anwälte eines Opfers aus Finnland, als Nebenklägerin zugelassen zu werden. Sie soll erst 11 Jahre alt gewesen sein, als "White Tiger" sie online zu Selbstverletzungen anstiftete, sie ritzte sich seinen Namen in die Haut.
"White Tiger" bezeichnet sich selbst in Chats, die dem Spiegel und der Washington Post vorliegen, als Nazi, Rassisten, Sadisten, "Wenn ich sehe, wie sich jemand selbst erniedrigt, macht mich das geil", zitiert der Spiegel. Er sei pädophil - und stolz drauf.
764: Satanisches Neonazi-Netzwerk zur Kinder-Ausbeutung
Shahriar J. ist nicht alleine. Er war Teil - und ist, Medienberichten zufolge, Rädelsführer - eines satanischen Neonazi-Netzwerks zur Ausbeutung von Kindern namens "764". Laut der Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) ist "764" ein "Online-Sextortion-Netzwerk, das dem Phänomen der nihilistischen extremistischen Gewalt zugerechnet wird". Das heißt, Gewalt wird nicht aus ideologischen Gründen ausgeübt, sondern aus sadistischen, "um der Gewalt willen", erklärt die DSN gegenüber dem KURIER.
Die Gruppe ist nicht zentral organisiert. Die Hierarchie ergebe sich durch die Schwere der Gewalt, "je brutaler, je sadistischer die Tat, desto höher das Ansehen in der Gruppe".
Zur Unterhaltung und Befriedigung der 764-Mitglieder sollte Jay seinen Suizid streamen. Sie ergötzen sich an den Bildern. Haben Freude an der Qual.
Der Spiegel hat sechs weitere Fälle recherchiert, in denen "764"-Mitglieder Menschen zum Suizid getrieben haben. Die meisten sollen ihren Tod live gestreamt haben. Die Dunkelziffer dürfte höher sein. Derzeit wird laut Spiegel in Leipzig ein Fall ermittelt, in dem ein "764"-Mitglied ein 13-jähriges Mädchen dazu gebracht haben soll, ihre sieben-jährige Schwester zu erstechen.
Warnung von Europol und FBI
Die Gruppe "764" ist Teil vom Netzwerk "The Com", kurz für "The Community", also Gemeinschaft. Das ist ein international online agierender Zusammenschluss von mehreren cyberkriminellen Netzwerken.
Ihnen wird Kryptowährungsdiebstahl, Swatting (Falschmeldung einer Notfallsituation, damit Sondereinheiten zur Adresse einer anderen Person gesendet werden) und Gewaltanstiftung (gegen sich selbst und andere) und sexuelle Ausbeutung von Kindern vorgeworfen. Teilen von "The Com" betreiben Cyber-Grooming und Sextorion (sexuelle Erpressung) von Kindern, etwa "764".
Im September 2023 und im Juli 2025 warnte das amerikanische FBI offiziell vor diesen Gruppen. Im Februar 2025 veröffentliche EUROPOL eine Warnung. In dieser wird vor einer "besorgniserregende Zunahme von sadistischen und extrem gewalttätigen Online-Communities gewarnt, die sich gegen Kinder und Jugendliche richten".
Formen der gewalttätigen Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen im Internet habe in den letzten Jahren erheblich zugenommen. "Eine Vielzahl von Gruppen nutzt digitale Plattformen gezielt, um extreme Grausamkeit zu normalisieren, Opfer zu erpressen und Einzelpersonen bis in den Suizid zu treiben", heißt es in der Warnung von EUROPOL.
• Geheimhaltung von Online-Aktivitäten
• Rückzug und Isolation
• Emotionale Belastung
• Interesse an schädlichen Inhalten
• Veränderungen in der Sprache oder den verwendeten Symbolen
• Verbergen körperlicher Anzeichen von Verletzungen
• Ungewöhnliche Aktivitäten auf Plattformen
• Interaktion mit unbekannten Kontakten
• Verschlüsselte Kommunikation
• Kontakt mit verstörenden Inhalten
Wie agiert 764?
Offiziell soll "764" seit 2023 aufgelöst sein, es gibt aber Nachfolgergruppen, die zwar unter meistens anderen Namen, aber nach den gleichen Vorgehensweisen und Prinzipien agieren, so die DSN. Sie agieren wie ein Soziales Netzwerk der Sadisten, die sich gegenseitig mit ihren Taten unterhalten und anstacheln, sich Tipps geben und Videos und oder Bilder senden, auf denen Kinder- und jugendliche Opfer sich oder andere verletzten, Tiere quälen oder sexuelle Handlungen filmen.
Den Tätern, die wie die Opfer selbst Minderjährige oder jungen Erwachsene sind, gehe es um die Ausübung von Macht über Schwächere.
Die perfiden Jagdgebiete der Täter sind daher oftmals Gaming-Plattformen für Kinder wie Roblox und Minecraft oder "Online-Gruppen, die von marginalisierten oder sozial schwächeren Personen besucht werden (z.B. LGBTQIA-Gruppen im Internet, Suizid-Gruppen, u.ä.)".
Die Täter verschaffen sich Zugang. Dort werden Opfer geködert, auf andere Chat-Plattformen, wie Discord gelockt und ein Vertrauensverhältnis aufgebaut.
"Auf Basis des Vertrauensverhältnisses wird dort dann versucht, Nacktfotos oder -videos des Opfers zu bekommen, mit denen es in der Folge erpresst werden kann. So können die Opfer beeinflusst, kontrolliert und letztlich gezwungen werden, sich selbst oder anderen Schaden zuzufügen, wobei diese die Taten per Video festhalten müssen, damit der oder die Täter zusehen können", erklärt die DSN.
Ein besonderes Merkmal der "764"-Sextortion: Die gezielte Delegation von Gewalthandlungen, heißt es von der Bundesstelle für Sektenfragen.
Wie viele Kinder weltweit betroffen sind, ist nicht bekannt. Aber alleine bei "White Tiger" geht die Staatsanwaltschaft bisher von mehr als 30 Opfern aus. In Österreich gibt es derzeit keine Beobachtungen dazu, "allerdings kann sich dies jederzeit ändern", warnt die DSN.
Auch die Bundesstelle für Sektenfrage warnt eindringlich, dass sich diese globalen Trends auch hierzulande etablieren können. Die Gruppen agieren global und grenzüberschreitend, wie auch die online Kommunikation keine regionalen Grenzen kennt.
Meldestelle des Cybercrime-Competence-Centers (C4) des Bundeskriminalamts
Wer einen Verdacht auf Cybercrime hat und Hilfe oder Informationen benötigt, kann sich an against-cybercrime@bmi.gv.at wenden. Wer durch eine Straftat geschädigt worden ist oder Hinweise auf Täter hat, soll das bei der nächsten Polizeidienststelle anzeigen. Über die Meldestelle selbst kann keine Anzeige erstattet werden.
Bundesstelle für Sektenfragen
Wollzeile 12/2/19
1010 Wien
Tel.: +43/ 1/ 513 04 60
bundesstelle@sektenfragen.at
Hilfe für Kinder:
Die Möwe : Kostenlose, anonyme Beratung bei Gewalt, Krisen und anderen Sorgen unter die-moewe.at.
Rat auf Draht: Bietet Hilfe für die Jüngsten unter der Telefonnummer 147.
Kidsline: Eine kostenlose Hotline für Kinder unter 0800 234 123.
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