Wie Verbrechen entstehen - und wie sie verhindert werden können

Wie Verbrechen entstehen - und wie sie verhindert werden können
Schon im Kindergarten und in der Schule muss das Thema Moral stärker behandelt werden, ist Kriminologe Per-Olof Wikström überzeugt.

Der schwedische Kriminologe Per-Olof Wikström, emeritierter Cambridge-Professor, erklärt, warum Kriminalprävention schon bei den Kleinsten ansetzen muss.

KURIER: Welche sind die gängigsten Irrglauben, wenn es um die Ursachen geht, warum Verbrechen entstehen?

Per-Olof Wikström: Der gängigste Irrglaube ist, dass die Ursachen gleichzusetzen sind mit den Eigenschaften der Menschen. Zum Beispiel, dass Kinder, die bei einem alleinerziehenden Elternteil in einer Sozialwohnung aufwachsen, eher kriminell werden. Warum sollte jemand, der so aufwächst, automatisch kriminell werden? Die überwältigende Mehrheit der Menschen mit diesem Hintergrund wird nicht kriminell. Ich bin selbst so aufgewachsen. Viele glauben, dass soziale Benachteiligung ein Schlüsselfaktor dafür ist, ob jemand Verbrechen begeht. Aber auch hier ist es ja nur eine kleine Minderheit. Man sollte also eher umgekehrt fragen: Warum werden genau die kriminell? Was auch gerne als Grund genannt wird: Langeweile.

Also, dass Leute, die nichts zu tun haben, eher kriminell werden?

Jeder langweilt sich mal. Aber die wenigsten werden deshalb kriminell. Man überschätzt da gerne die Bedeutung von Freizeitaktivität. Man muss auch bedenken, dass selbst die Kriminellsten unter uns nur sehr wenig Zeit damit verbringen, Verbrechen zu begehen, vielleicht ein paar Stunden pro Woche. Also sogar wenn man einen Kalender voller Aktivitäten hat, kann man Zeit für kriminelle Handlungen finden. Das Problem ist, es werden viel Zeit und Ressourcen dafür verwendet, entsprechende Freizeitangebote auf die Beine zu stellen. Das ist aus vielen Gründen gut, aber Kriminalprävention gehört nicht dazu.

Wenn von Kriminalität die Rede ist, steht zunehmend auch Jugendkriminalität im Fokus. Wie sollte man damit umgehen?

Es braucht langfristige, aktive Maßnahmen, die brauchen wiederum Zeit. Man sieht die Ergebnisse vielleicht erst in 10, 15 Jahren – und das ist dann für Politiker schwierig, weil sie meistens schnelle Ergebnisse wollen. Wir wissen aber, dass die meisten Schwerverbrecher schon als Kinder kriminell waren. Das hat mit ihrer moralischen Entwicklung und ihrer Fähigkeit zur Selbstkontrolle zu tun. Man muss also wirklich schon bei den Kleinen ansetzen, schon im Kindergarten. Da wird der Grundstein gelegt. Aber man konzentriert sich in den Maßnahmen hauptsächlich auf die Jugendlichen, die dann oft schon länger kriminell sind. Gleichzeitig muss man aber natürlich auch auf die Verbrechen reagieren, die aktuell passieren. Es braucht beide Ansätze.

Wie Verbrechen entstehen - und wie sie verhindert werden können

Per-Olof Wikström 
Kriminologe, Univ. Cambridge  

Wie kann man Moralvorstellungen ändern? Werden diese Vorstellungen nicht von den Eltern vermittelt?

Es gibt da schon eine gewisse Stabilität in den Moralvorstellungen. Aber unsere Moralvorstellungen sind schon einem Wandel unterworfen, weil sich auch das Leben ständig ändert. Man geht zur Schule, man wechselt den Beruf, man lernt andere Menschen kennen, man gründet eine Familie. Das verändert auch unsere Moralvorstellungen. In der Schule gibt es ein großes Potenzial, Kinder positiv zu beeinflussen. Das Wichtigste ist, ihnen beizubringen, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen und wie es das Wohlergehen anderer Menschen beeinflusst. Das ist das Grundprinzip. Es ist wie ein Training, man lernt Verhalten. Wenn man lernt, dass es in Ordnung ist, Gewalt anzuwenden, dann kann das zur Gewohnheit werden. Und das darf man natürlich auch nicht vergessen: Die meisten Jugendlichen sind nicht kriminell. Es ist eine kleine Gruppe, die sehr aktiv und für die meisten Straftaten verantwortlich ist.

Wo liegen die Schwachstellen in der gängigen Praxis der Kriminalprävention?

Dass vor allem reagiert wird. Prävention würde aber bedeuten, zu handeln, bevor ein Problem entsteht. Das ist auch eine vorherrschende Meinung: Manche meinen, im Grunde seien wir alle kriminell, das Einzige, was uns zurückhalte, sei die Angst, erwischt zu werden. Absurd. Und so kaufen wir uns bessere Schlösser, Überwachungskameras und so weiter. Aber das brauchen wir für die, die schon kriminell sind. Für die meisten macht das keinen Unterschied – die würden auch nicht einbrechen, wenn die Tür offen wäre. Es ist nur für die relevant, die bereit sind, eine kriminelle Handlung zu begehen.

Per-Olof Wikström war zu Gast bei den Campus Lectures des FH Campus Wien. 

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