Schuld am Tod des eigenen Kindes: Wie Eltern danach weiterleben
Das einjährige Mädchen starb noch an Ort und Stelle.
Was Samstagabend in Kopfing in Oberösterreich passierte, ist die Horrorvorstellung aller Eltern. Eine Mutter fährt nach dem Reifenwechseln nach hinten, rammt dabei ihre einjährige Tochter, die unter dem Wagen eingeklemmt wird. Der Vater hebt noch das Auto mit dem Wagenheber hoch, für das kleine Mädchen kommt aber jede Hilfe zu spät, das Kind stirbt an Ort und Stelle.
Es ist nicht der einzige Unfall dieser Art in den vergangenen Jahren. Ein Blick zurück zeigt, dass es immer wieder Vorfälle gibt, bei denen Eltern oder Großeltern unabsichtlich ihren Kindern bzw. Enkelkindern Schaden zufügen:
- Mai 2023: Eine 60-Jährige setzt sich in der Steiermark mit den Enkelkindern im Alter von zwei und fünf Jahren auf ein Tuk-Tuk und fährt mit ihnen in der Nähe ihres Bauernhofes herum. Die Enkerl sitzen am Vordersitz neben ihrer Oma. Plötzlich verliert die 60-Jährige die Kontrolle über das Fahrzeug und stürzt rund 30 Meter über eine Böschung. Die Frau wird schwer verletzt, die Kinder kommen mit Abschürfungen davon.
- Juni 2023: Ein vier Jahre alter Bub sitzt in Oberösterreich am Kotflügel eines Traktors, während sein 68-jähriger Opa im Stall mit dem Gefährt arbeitet. Beim Anheben der Heckschaufel dürfte der rechte Fuß des Kindes in das Hydraulikgestänge gekommen sein. Der Vierjährige wird mit dem Hubschrauber ins Spital geflogen.
- Mai 2024: Ein Kleinkind wird auf einem Bauernhof in Oberösterreich aus Versehen von seinem Großvater überfahren. Der 66-jährige Bauer arbeitet mit dem Hoflader im Stallgebäude, als sein zweijähriger Enkelsohn hinter das Fahrzeug läuft. Der Mann bemerkt das Kind nicht und überfährt es beim Rückwärtsfahren. Der Notarzt kann nur mehr den Tod des Buben feststellen.
- Dezember 2024: Bei einem Unfall auf einem Bauernhof in Dornbirn gerät ein Kleinkind in die laufende Gelenkswelle eines Futtermischwagens. Dabei wird dem Einjährigen der rechte Oberarm komplett abgetrennt.
- Juni 2025: Ein Dreijähriger wird in Tirol von einem Pferd ins Gesicht getreten und verletzt. Der Unfall ereignet sich, als sein 44-jähriger Vater im Stall arbeitet.
Ulla Gschwandtner betreut Personen, die schwere Verluste verarbeiten wollen.
Ulla Gschwandtner ist Trauerbegleiterin aus Oberösterreich. Sie arbeitet gemeinsam mit ihrem Mann Robert mit Menschen, die einen schweren Verlust verarbeiten möchten. Dabei weiß das Paar genau, wovon es spricht. Die beiden haben selbst ein Kind verloren. 2016 starb ihre Tochter Emilia im Alter von 14 Monaten. Sie war mit Trisomie 21 geboren worden und hatte einen schweren Herzfehler, an dem sie - sehr unerwartet - verstarb.
Will ich wieder leben?
Auf den Unfall in Kopfing angesprochen, sagt die Expertin: "Das ist ein Gesamtbrocken an Trauerarbeit, der vor dieser Familie liegt." Abgesehen von der juristischen Klärung der Schuldfrage gehe es auch immer um die moralische Schuld: "Wenn Eltern den Tod eines Kindes unabsichtlich selbst verursachen, bringt das gewaltige Erschwernisse im Trauerprozess mit sich."
Männer und Frauen trauern unterschiedlich.
Irgendwann, der Zeitpunkt sei bei jeder trauernden Person individuell, müsse man selbst eine Entscheidung treffen: "Will ich wieder leben? Erlaube ich mir das selbst? Dazu gehört die Akzeptanz: Es ist, wie es ist." Viele verbieten sich in derartig traumatischen Situationen selbst einen Neuanfang. "So ein Trauerprozess ist nicht nach einem Jahr abgeschlossen. Aber das sieht die Gesellschaft oft nicht", weiß die 50-Jährige.
"Mir fehlen die Worte"
Familienangehörigen und Freunden von betroffenen Eltern gibt Ulla Gschwandtner folgenden Rat: "Man muss oft gar nicht viel sagen. Wenn die Eltern dazu bereit sind, kann man sie einfach erzählen lassen. Es braucht nicht viele Worte am Anfang, sondern es geht um Echtheit, die von Herzen kommt." Als Angehörige könne man auch eingestehen: Mir fehlen die Worte.
Ein derartiger Vorfall sei natürlich auch der Super-Gau für eine Beziehung. Männer und Frauen trauern unterschiedlich und das Schwierigste wird sein, "dass sich die Mama in Kopfing irgendwann selbst verzeihen kann." Die Gesellschaft habe kein Recht, zu beurteilen, wie jemand trauert: "So schlimm es ist: Das Leben geht weiter. Und man darf auch in diesen Situationen lachen."