Hospiz-Leiterin über Sterbe-Begleitung: "Man sollte besser aufeinander aufpassen"

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Andrea Schwarz über unterschiedliche religiöse Riten am Lebensende, die Kraft des Willens, und welche Lehre sie auch für sich aus dieser Arbeit zieht.

Im Hospiz am Rennweg herrscht ruhige, freundliche Atmosphäre. Der KURIER besuchte die Leiterin.

KURIER: „Der Kostbarkeit des Lebens im Sterben achtsam Raum und Zeit geben“, steht auf Ihrer Homepage. Wen betreuen Sie?

Andrea Schwarz: Wir begleiten Menschen mit einer lebenslimitierenden Erkrankung – 90 Prozent leiden an Krebs. Aktuell betreuen wir 12 Menschen stationär und 75 zu Hause. Die CS Caritas Socialis hat es sich auf ihre Fahnen geschrieben, die Menschen in Würde bis zum Lebensende zu begleiten. Wir bieten neben Hospiz und Palliative Care Begleitung auch Hauskrankenpflege und Pflegestationen.

Wie wichtig ist Angehörigenarbeit? Sie haben ja sogar Familienzimmer.

Je besser man die An- und Zugehörigen – das können ja auch Freunde sein – einbindet, desto komplikationsloser ist die Betreuung.

Wie ist es mit Haustieren?

Bei uns am Hospiz Rennweg wohnen sogar zwei Katzen, die sehr wichtig sind. Sie machen ein heimeliges Gefühl. Es dürfen auch Haustiere auf Besuch kommen.

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Was passiert, wenn jemand stirbt – wie oft kommt das vor?

Im Monat versterben bei uns ungefähr 20 Menschen und im mobilen Palliativteam zu Hause ungefähr 15. Wir versuchen, Angehörige und Freunde darauf vorzubereiten, und rufen an, wenn es so weit ist. Es wird auch gefragt, ob noch jemand kommen will, der sich verabschieden möchte. Wenn niemand von der Familie da ist, dann bleibt jemand vom Personal dabei.

Wie spürt man, ob jemand lieber allein sterben will?

Wir lernen die Menschen zwar meist nur kurz kennen, steigen aber sehr intensiv in die Betreuung ein und versuchen, viel mit den Menschen zu reden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ganz tief geschult auf nonverbale Kommunikation. Die können das und spüren das.

Welche Zeichen gibt es, wenn jemand stirbt?

Der Körper verändert sich. Es gibt vielleicht eine leichte Verfärbung der Extremitäten, man merkt es an der Atmung und sieht es an den Augen. Manchmal erholt sich der Mensch aber auch vorübergehend wieder.

Wie wichtig ist der Wille im Tod? Man hat das Gefühl, dass manche im Sterben direkt warten können auf jemanden, der sich noch verabschieden kommen möchte bzw. darauf warten, allein zu sein.

Ich habe in diesen 25 Jahren, in denen ich hier bin, oft beobachtet, dass Angehörige sieben Tage die Woche da waren, dann aber nach Hause gefahren sind, um frische Wäsche zu holen. Und genau dann ist es passiert. Manchmal kann jemand nur gehen, wenn er allein ist. Da muss man mit den Angehörigen dann wirklich gut reden, damit sie das verstehen und keine Schuldgefühle haben. Umgekehrt gibt es die Situation, dass eigentlich keine Kraft mehr da ist, aber da kommt noch jemand, und der Sterbende wartet darauf.

Fehlt das, was Sie hier bieten, im öffentlichen Gesundheitswesen?

Hospizarbeit ist eine Haltung. Aber ein Faktor ist die Zeit, die Personalsituation läuft dem entgegen.

Ist es auch für Sie schwierig, Personal zu finden?

Ich habe weniger Bewerbungen als vor 15 Jahren. Aber die Hospizarbeit zieht noch immer Menschen an. Hier können Pflegepersonen so arbeiten, wie wir es gelernt haben: die Zeit für die Körperpflege der Hospizgäste zu haben, und auch dafür, ein Gespräch zu führen.

Manche wie der Autor und Lehrer Niki Glattauer entscheiden sich für den assistierten Suizid. Er hat kurz davor große Interviews dazu gegeben. Ihre Meinung dazu?

Mit Sterbewünschen setzen wir uns in der CS seit vielen, vielen Jahren auseinander. Der Wunsch des Sterbens liegt nahe, wenn die Symptomlast hoch ist und man keine Kraft mehr hat. Meist geht es um das „So“ will ich nicht leben. Wenn wir mit unserer Begleitung beginnen und Symptome lindern, dann kommt wieder der Wille, leben zu wollen. Das Gesetz 2022 haben wir intensiv diskutiert mit dem Hauptziel: Wir wollen mit den Menschen, die die vorbereitenden Schritte machen, in Kontakt bleiben. Daher haben wir eine Leitlinie erarbeitet. Wir sind jetzt auch zweimal in unserem mobilen Team damit konfrontiert gewesen. Jeder Mensch, den wir so verlieren, ist ein Verlust, und es wird immer eine Kriseninterventionsmaßnahme für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesetzt. Meine persönliche Meinung zum Fall Glattauer war, dass es zu sehr beworben wurde.

Salon Salomon: Andrea Schwarz

Sie sind eine christliche Einrichtung. Wie wichtig ist Seelsorge?

Enorm wichtig, da geht’s aber nicht ums Katholische, sondern um die Seele des Menschen. Daher haben wir auch Kontakte zu anderen Glaubensgruppen, damit alle ihre Rituale haben können. Wir sind sehr liberal, haben ja auch beim Personal 40 Nationen. Wir respektieren unterschiedliche Religionen und wenn jemand möchte, dass das Kreuz im Verabschiedungsraum abgehängt wird, dann geschieht es.

Werden Taufscheinkatholiken nicht immer weniger religiös?

Die christliche Seelsorge ist sehr gefragt. Ich hatte selbst eine bösartige, nicht wirklich lebensbedrohliche Erkrankung, die ich nicht publik gemacht habe. Und die Seelsorge hat sich wunderbar um mich gekümmert – auf eine Weise, wo man einfach bei sich sein darf. Selbst zu spüren, wie wichtig das ist, war für mich der Gewinn aus dieser Erkrankung.

Man merkt vielleicht erst zum Schluss, wie wichtig Seelsorge ist?

Wir leben in so einer rasanten Zeit, dass manchmal für so essenzielle Dinge zu wenig übrig bleibt. Es gibt Menschen, die am Ende wieder in die Kirche eintreten wollen. Wir helfen dabei. Es gibt auch welche, die im Hospiz Rennweg noch heiraten.

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Welche unterschiedlichen Rituale gibt es von Religion zu Religion?

Ganz viele, wir sind offen für alles, was gewünscht wird. In manchen Religionen soll der Sterbende eine brennende Kerze in Händen halten, oder es muss nach dem Tod Geld im Hemd sein, oder das Fenster muss offen sein, damit die Seele gehen kann. Wir machen im Haus kein Geheimnis daraus, wenn jemand verstorben ist. Solange er noch da ist, brennt eine Kerze vor seiner Tür.

Was macht das mit einem selbst, wenn man beruflich ständig mit dem Lebensende konfrontiert ist?

Es ist oft sehr traurig, vor allem, wenn Junge versterben. Aber es ist auch irrsinnig bereichernd, und es macht zufriedener. Ich habe ein sehr gutes Leben. Die Essenz ist: Verschiebe nichts auf morgen!

Wie wichtig sind Spenden und Ehrenamtlichkeit?

Unsere 80 Ehrenamtlichen schenken uns pro Jahr 10.000 Stunden, sie bringen das Leben auf die Station. Und viele Extras können wir uns nur dank Spenden leisten. Diese finanzieren zum Beispiel vier Psychotherapeutinnen im „Roten Anker“ (siehe links), die speziell mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, die jemanden verloren haben. Oder es wird eine Schulklasse betreut, weil ein Kind verunglückt ist.

Warum gibt es ein Raucherzimmer bei Ihnen?

Weil es für manche das Letzte ist, was noch Lebensqualität gibt. Man muss es in dieser Situation nicht verbieten.

Müssen wir den Tod wieder mehr ins Leben hineinholen?

Man sollte jedenfalls besser aufeinander aufpassen.

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