Die Frau aus Serbien ist seit 1971 in Österreich, ist österreichische Staatsbürgerin, spricht kein Deutsch. 32 Jahre hat sie gearbeitet, jetzt lebt sie von einer Pension in der Höhe von 1.800 Euro in Wien. Sie ist gezeichnet von den Schicksalschlägen, die sie erlitten hat. Ihr Sohn, erzählt sie unter Tränen, starb völlig überraschend an einem Herzinfarkt, ihr Ehemann überlebte vor acht Jahren eine Operation am Bein nicht. Und auch ihr Schwiegersohn ist tot, gestorben vor etwas mehr als zwei Jahren.
Der hat bis dahin seine Frau gepflegt. Seit seinem Tod ist sie für ihre erwachsene pflegebedürftige Tochter verantwortlich. Liliana hat die Diagnose MS - multiple Sklerose, zuletzt mit starken Schluckbeschwerden, mit 36 Jahren erhalten. Die letzten Jahre, als sie schon bettlägrig war, müssen eine Qual für sie gewesen sein. Die Obduktion hat ergeben, dass die Frau bis auf die Knochen wundgelegen war, die Wunden entzündet. Auch darum hat sich die Mutter gekümmert. "Ich habe ihr gesagt, dass eine Krankenschwester das besser könnte, sie wollte das nicht."
Ärzte verweigert
Ihre Tochter habe auch alle Ärzte verweigert, zuletzt sei der Hausarzt 2018 bei ihr gewesen, bestätigt sie dem Richter, die Medikamente habe dieser immer weiter verschrieben. Bis zuletzt habe sie sehr klare Entscheidungen selber getroffen. Etwa, dass sie nicht über eine Sonde ernährt werden wolle. "Ich habe ihr zugeredet, dass sie etwas isst, habe nur das gemacht, was sie wollte, Suppen, Obst, Joghurt", erzählt die Mutter verzweifelt, "ich habe ihr gesagt, sie braucht vor einer Sonde keine Angst zu haben. Ich habe versucht, ihr zu erklären, dass Ärzte ihr helfen können. Sie wollte das nicht. Wenn ihr mich in ein Spital bringt, will ich niemanden von euch mehr sehen, hat sie gesagt." Auf die Frage des Richters, ob sie ihrer Tochter nur gegen deren Willen hätte helfen können, antwortet die Frau: "Ja, aber das konnte ich nicht über das Herz bringen." Der Dolmetscherin versagt beim Übersetzen die Stimme.
Der Staatsanwalt fragt, ob ihrer Tochter bewusst gewesen sei, dass sie sterben würde. "Ja, das habe ich angesprochen", antwortet die Angeklagte, "sie hat trotzdem alle Hilfe abgelehnt. Sie hat nur gesagt, sie will in ihrer Wohnung sterben." Das gerichtsmedizinische Gutachten hat als Todesursache eine bakterielle Lungenentzündung ausgemacht. Der Körper sei jedenfalls bereits durch Infektionen sehr belastet gewesen, Organe angegriffen. Allerdings war die Frau trotz ihrer 25 Kilo keineswegs dehydriert, was darauf schließen lasse, dass sie durchaus auch versorgt worden sei.
Nach Abschluss des Beweisverfahrens bittet der Staatsanwalt nicht mehr um eine Verurteilung, sondern "um eine gesetzeskonforme Entscheidung". Die Verteidigung betont: "Die Tochter war selbstständig in ihren Entscheidungen, die Mutter hat das respektiert. Es war die Entscheidung ihrer Tochter, daheim sterben zu wollen nicht im Spital."
Richter entschuldigt sich
Richter Andreas Böhm und zwei Schöffen entscheiden nach kurzer Beratung auf zweifelsfreien Freispruch. "Die Frau war geistig bei Sinnen, sie wollte sich nicht behandeln lassen. Das ist ihr Recht, das sagt das österreichische Recht."
Die Staatsanwaltschaft verzichtet auf Rechtsmittel, das Urteil ist rechtskräftig. "Es tut mir leid, dass sie das auch noch ertragen mussten", entschuldigt sich der Richter bei der 81-Jährigen, ehe sie den Gerichtssaal verlässt.
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