Tiefer geblickt: Tirol-Wahl bringt neue Wählertrends

Tiefer geblickt: Tirol-Wahl bringt neue Wählertrends
Die Detailanalyse zeigt, dass die ÖVP stärker an die SPÖ verloren hat als an die FPÖ. Die Roten zeigten ungewohnte Schwächen in den Städten, was aber auch am Frontmann liegen könnte.

Jede Landtagswahl hat ihre eigene Dynamik. Aber die Ergebnisse in Tirol werden sich Parteistrategen im Bund wie in anderen Ländern genau zu Gemüte führen. Immerhin fand die Wahl im Umfeld multipler Krisen statt und war zudem der erste große Urnengang seit dem Rücktritt des türkisen Zugpferds Sebastian Kurz.

Der konnte der FPÖ bei den Nationalratswahlen 2019 nach dem Ibiza-Skandal Wähler in Massen abspenstig machen und damit die ÖVP in lichte Höhen führen. Die Blauen konnten nun erstmals wieder einen größeren Erfolg feiern, während die Tiroler Volkspartei abstürzte.

Der größte Profiteur des Ausrinnens der Schwarzen war aber nicht die FPÖ. Im Vergleich zur Landtagswahl 2018 fand der größte Stimmenabfluss von der ÖVP am Sonntag laut SORA-Wählerstromanalyse Richtung SPÖ statt.

Was in dieses Bild passt: Die von Georg Dornauer, selbst Bürgermeister einer Talgemeinde, ins Rennen geführten Roten, konnten vor allem im traditionell ÖVP-dominierten ländlichen Raum ihre besten Ergebnisse einfahren.

Dornauer ist mit 7.566 Vorzugsstimmen im Bezirk Innsbruck-Land sogar zum tirolweiten Vorzugsstimmenkaiser avanciert – klar vor VP-Frontmann Anton Mattle, der in seinem Heimtabezirk Landeck auf 5.750 kam.

Das zeigt, dass die SPÖ durchaus auch abseits urbaner Gefilde punkten kann, wenn der Spitzenkandidat sich wie Dornauer am Land wie ein Fisch im Wasser bewegt.

Nachhaltig profitieren konnte die SPÖ davon nicht. Das liegt wohl auch daran, dass sie umgekehrt in einigen Städten für sie enttäuschende Ergebnisse eingefahren hat.

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Georg Dornauer mit der Lienzer SPÖ-Bürgermeisterin Elisabeth Blanik bei der SPÖ-Wahlparty

In der Landeshauptstadt Innsbruck etwa gab es ein Minus von vier Prozentpunkten, im benachbarten Hall ebenso. Besonders stark ging es in der Osttiroler Bezirkshauptstadt Lienz bergab, wo die SPÖ-Listenzweite Elisabeth Blanik Bürgermeisterin ist: – 12,8 %.

Eine Erklärung für die urbane Schwäche könnte im Profil von Spitzenkandidat Dornauer zu suchen sein, dem beim städtischen Publikum womöglich seine anfänglichen Eskapaden (Gewehr im unversperrten Auto) nachgetragen werden.

Kein Oppositionsbonus

Das letztlich nur zarte Plus muss wohl – trotz regionaler Besonderheiten – auch der Bundes-SPÖ zu denken geben. Als die SPÖ Anfang der 2000er-Jahre auf Bundesebene in Opposition zu Wolfgang Schüssels schwarzblauer Koalition war, verlieh ihr das bei Landtagswahlen Flügel.

Jetzt ist die SPÖ im Bund wieder in Opposition, doch von Rückenwind ist diesmal wenig zu bemerken. Tirol ist nicht das einzige Bundesland, in dem die SPÖ auf dem Stand tritt. Auch im Vorjahr in Oberösterreich gewann sie mickrige 0,21 Prozentpunkte (auf 18,6 Prozent) hinzu.

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Anton Mattle konnte sich auf die VP-Stammwähler verlassen

Die ÖVP konnte sich einmal mehr auf ihre Stammwähler verlassen. 28 Prozent der ÖVP-Wähler sagten, dass sie „immer diese Partei wählen“ – das war laut SORA das wichtigste Motiv für die ÖVP-Wähler am Sonntag.

Die Grünen wiederum – Koalitionspartner der ÖVP im Bund und (noch) in Tirol – konnten bei ihren Wählern stärker als alle anderen Parteien mit Inhalten (für 61 Prozent Hauptwahlmotiv) punkten. Die Regierungspartei wurde aber insgesamt klar abgestraft.

FPÖ schöpft aus Frust

Die FPÖ konnte den offenkundig vorhandenen Frust in der Bevölkerung zur Mobilisierung nutzen. Wie beim größten Wahlsieger des Abends – der Liste Fritz – war der Wunsch, die Mehrheit der ÖVP zu brechen, gleich hinter den Inhalten der wichtigste Grund, FPÖ zu wählen.

Die Blauen positionierten sich in der ersten Wahlkampfphase gegen Corona-Maßnahmen, Asylwerber und die Teuerung. Später schalteten sie voll auf Attacke gegen die ÖVP. Das zog offenkundig.

Höhere Wahlbeteiligung

Die FPÖ konnte 15.000 Nichtwähler von 2018 – mehr als jede anderen Partei – zur Stimmabgabe bewegen. Was sich in Tirol zudem gezeigt hat: Die Wähler kehren der Politik in der Krise nicht den Rücken. Vielmehr ist die Wahlbeteiligung von 60 auf 65 Prozent gestiegen.

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