"Taubstummenanstalt": Kinder jahrzehntelang missbraucht
Die Vorwürfe sind heftig, und sie klingen – nicht nur nach heutigen Maßstäben und Standards – unvorstellbar. Es geht um Kinder, die in der früheren „Taubstummenanstalt“ in Salzburg Opfer von Gewalt geworden sind.
Viele von ihnen haben sich nach jahrzehntelangem Schweigen an die Volksanwaltschaft gewandt, wie ORF Salzburg und Salzburger Nachrichten berichteten.
80 Betroffene
Laut den Unterlagen der Volksanwaltschaft sollen Hunderte Kinder im Zeitraum zwischen 1950 und 1980 Opfer dieser nun aufgedeckten Missstände geworden sein.
80 von ihnen haben sich mittlerweile der Volksanwaltschaft anvertraut. Die Geschichten, die die Psychologinnen und Psychologen zu hören bekamen, waren dramatisch: In den Berichten schildern die ehemaligen Zöglinge der Schule und des Internats, dass Schläge mit der Hand, Reißen an den Haaren und sogar Prügel mit einem Holzstock an der Tagesordnung gestanden seien.
Die Kinder dürften in der Zeit darüber hinaus systematisch von ihren Eltern getrennt wesen sein. Viele der Kinder hätten ausschließlich die Sommerferien zu Hause verbringen dürfen – und das oft vom Kindergartenalter bis zum Lehrabschluss.
Weitere „Bestrafungsmaßnamen“ schilderten die Betroffenen, von denen sich viele nach Jahrzehnten erstmals über das dort Erlebte äußerten: Die Kinder hätten oft über Stunden nichts zu trinken bekommen, auch nach langen, kräfteraubenden Märschen über den Mönchsberg.
Nur unter großer Angst vor Strafen, so berichtet Johanna Wimberger von der Volksanwaltschaft über Gespräche und Aussagen von Betroffenen, hätten es die Kinder auf den Toiletten gewagt, zu trinken. Also erst dann, wenn der Durst bereits als besonders grausam erlebt worden sei.
Und besonders grausam soll auch der Essenszwang ausgeübt worden sein. Sprich: Kinder, die nicht mehr essen konnten oder bereits erbrochen hatten, sollen von ihren Betreuern gezwungen worden sein, weiter zu essen – auch das eben selbst Erbrochene.
Warum das damals nicht gleich aufgekommen ist, sei unter anderem darauf zurückzuführen, dass sich viele Betroffene aufgrund ihrer Gehörlosigkeit nicht ausdrücken konnten.
Was nach aktuellen Erhebungen noch dazu systematisch verstärkt worden sei. Den Schülerinnen und Schülern sei es sogar verboten gewesen, diese Form der Kommunikation zu verwenden.
Wurde jemand dabei erwischt, soll es Prügelstrafen gegeben haben.
Aufarbeitung läuft
Das Land Salzburg arbeitet die Vorfälle aktuell auch auf. Auf Betreiben der Volksanwaltschaft haben mittlerweile 30 Opfer eine Heimopferrente zugesprochen bekommen.
25 Opfer erhielten eine einmalige Entschädigung bis zu 20.000 Euro, berichteten die Salzburger Nachrichten. 37 weitere warten auf eine Entscheidung.
Dass sich jetzt schon so viele Opfer gemeldet hätten, sei wichtig – wenngleich Wimberger davon ausgeht, dass dies erst die Spitze des Eisbergs war.
Sie rechnet auch damit, dass sich aufgrund der Medienberichte weitere Betroffenen melden. Auch wenn sie einräumt: „Viele haben nach wie vor Angst, dass sie wieder traumatisiert werden.“
Neuer Name?
Die heutige Josef-Rehrl-Schule ist nach dem früheren kurzzeitigen Landeshauptmann von Salzburg benannt, der selbst als Direktor der Schule als einer von mehreren für das dort herrschende Regime in einem Zeitraum verantwortlich gewesen sei. Deshalb fordert die Volksanwaltschaft auch eine Umbenennung.
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