Perlen aus der anonymen Bücherklappe

Das älteste Stück der Sammlung: Mathematische Wissenschaften, 1717
„Bücherrettung. Bitte schmeißen Sie Ihre Bücher nicht weg!“, steht auf dem Flyer von Waldviertel Exklusiv bzw. Nina Hlava. Und die Adresse zur „Anonymen Bücherklappe“ in der Stadt Heidenreichstein (Franz-Grießer-Straße 16 ).
Alles, was dort abgegeben wird, kommt in die Hände der Bibliothekswissenschaftlerin Ingrid Brandner. Vor rund einem Monat haben sie und Nina Hlava die Aktion gestartet. Seither hat Brandner alle Hände voll zu tun: Etwa 1.000 Bücher wurden abgegeben.
Noch ein bisschen "aufgehübscht"
Alle hat sie in ihren Bibliothekskatalog aufgenommen und in Heidenreichstein in Regale des bald eröffnenden Antiquariats „Waldviertel Exklusiv“ geschlichtet. Davor hat die 72-Jährige sie aber noch „aufgehübscht“ so gut sie konnte.

Ingrid Brandner hat in vielen Bibliotheken gearbeitet.
„Meistens sind sie vergilbt, das kann man wegradieren“, erklärt sie und rubbelt mit einem etwa zehn Zentimeter langen und sieben Zentimeter breiten Spezialradierer über die Seiten des geschlossenen Buches. Ist der Umschlag verschmutzt, nimmt sie Terpentin oder einen speziellen Spray zu Hilfe.
„Das sind keine Geheimtricks, da gibt es ein eigenes EKZ – also Einkaufszentrum – für Bibliotheken“, erklärt sie. Dann nimmt sie ein Buch über das Waldviertel aus den 1960ern aus dem Regal hinter sich. „Riech einmal. Das ist ein Dachbodenfund – das war sehr, sehr muffig, weil es dort feucht war“, so die gebürtige Deutsche.

Altersspuren werden wegradiert
Es riecht zwar nicht mehr druckfrisch, aber auch nicht unangenehm. Brandner sagt, sie habe es zunächst in einer Plastiktüte mit Natron verschlossen und dann 14 Tage in ihre Gefriertruhe gelegt. Geheimtricks hat sie nicht, sie teilt ihr Wissen gerne.
Bildungstool
Und Bücher sind Wissensquellen. Nina Hlava (44), seit Jahren im Weiterbildungssektor tätig, sagt: „Bildung ist mein großes Thema und dazu gehören Bücher. Sie sind ein ultimatives Bildungstool.“ Darum will sie sie davor bewahren, lieblos irgendwo hingeschmissen zu werden oder gar im Müll zu landen.

Nina Hlava eröffnet mit Brandner ein Antiquariat.
Das will auch Brandner nicht. Sie hatte bereits eine Privatbibliothek mit 5.000 Exemplaren, nach einem Umzug musste sie aus Platzgründen etwa die Hälfte weggeben. „Das war sehr schwer für mich. Aber natürlich habe ich geschaut, dass sie eine gute Nachnutzung finden“, erzählt sie. Jetzt stehen sie in öffentlichen Bibliotheken der Region.
Aus eigener Erfahrung wisse sie daher, dass es für manche Menschen herzzerreißend ist, wenn sie Bücher weggeben müssen – wegen Umzügen oder etwa auch, wenn Nachfahren entrümpeln. „Ich nehme alles auf“, versichert sie. Hlava betont, dass man im Antiquariat dann sehen könnte, wie die Bücher gepflegt und wertgeschätzt werden.
Regionalliteratur
Wenn Brandner ein abgegebenes Buch vor sich hat, sieht sie sofort, ob der Vorbesitzer ein Liebhaber war oder ob es sich um ein Erbstück gehandelt hat. Wenn sie eine Kiste öffnet, dann ist das „wie Weihnachten. Man sieht den Menschen vor sich, man sieht, welche Interessen dieser hatte.“

Regionalliteratur ist beliebt
Bei allen Spenden sei mindestens eine „Perle“ dabei, manche sind sehr wertvoll. So wie jenes, das sie am Mittwochmorgen aus einem frisch abgestellten Karton genommen hat: Ein in Ziegenleder gebundenes Exemplar von „Niederösterreich in alten Ansichten“ aus dem Jahr 1975.
„Es ist eine Luxusausgabe, da gibt es nur 100 Exemplare, die anderen sind mit Pappdeckeln“, meint die Expertin und streicht mit der Hand über das Leder. Es wird sich perfekt in das Regal mit der Regionalliteratur einfügen.
Bestseller: Bücher über Österreich und die Region
In der Vergangenheit hat Brandner einen Bibliotheksonlineshop zum Ausborgen oder kaufen betrieben – ihre Bestseller waren Bücher über Österreich und die Region. Deswegen wird auch im Antiquariat, das am 11. Juni eröffnet, damit ein Schwerpunkt gesetzt.
Ein weiterer liegt darin, dass die Menschen hier auch zum Lesen und Recherchieren eingeladen sind – Wissen sollte schließlich für alle zugänglich sein.
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