Paris liegt in Wien 8: Im Blauensteiner

46-215397633
Am Eck Lenaugasse/Josefstädterstraße gibt’s eine Gastwirtschaft mit Doppelnamen und Kultcharakter. Was es hingegen nicht gibt: eine Fritteuse. Drum sind ja auch Bries und Schnitzel so gut.

Von Achim Schneyder

"Gehst mit ins Blauensteiner?“, frage ich einen Freund. „Wohin?“ – „Ins Blauensteiner.“ – „Kenn ich nicht.“ – „Zur Stadt Paris.“ – „Kenn ich auch nicht.“ – „Ist eh eins’, sage ich und erkläre es ihm.

Das Wirtshaus gibt’s, seit das Haus steht, seit dem späten 19. Jahrhundert also. In den 1950ern hat’s dann ein gewisser Franz Blauensteiner gekauft und einerseits nach sich benannt – „Gastwirtschaft Blauensteiner“ –, andererseits wollte er einen Kontrapunkt zu Lokalnamen wie etwa „Zur Stadt Krems“ im Siebenten setzen. 

Gasthaus mit Zweitname

Und da der alte Blauensteiner im Krieg in Frankreich war, nannte er sein Gasthaus im Achten mit zweitem Namen „Zur Stadt Paris“, in dem er bald Persönlichkeiten wie den Dichter Heimito von Doderer – Strudlhofstiege, eh scho wissen … – zu seinen Stammgästen zählte. 

Im Stüberl im Halbstock, geöffnet nur in Ausnahmefällen, hängen noch heute gerahmte Originalmanuskripte und Fotos des 1966 verstorbenen Schriftstellers.

In den 1970ern hat dann der junge Blauensteiner übernommen, der hieß ebenfalls Franz und hatte 2002 keine Lust mehr, also hat er den Laden quasi über Nacht zugesperrt. „Aber nicht wirklich …“, erzählt Erich Lentsch, heute Chef dieses aus der Zeit gefallenen Wiener Originals. 

Eingang durch die Hintertür

„Die Fenster und die Tür waren zwar verrammelt, aber durch den Hintereingang sind Freunde und Bekannte zum Kartenspielen und Trinken reingekommen.“

46-215412887

Dann hätte Blauensteiner so richtig reich werden können, eine Bank wollte seine Immobilie käuflich erwerben. „Eine Bankfiliale in seinem Wirtshaus hätte ihm aber das Herz gebrochen“, sagt Erich Lentsch, der, unterstützt vom Baumeister Erich Langsteiner und dem Maler Gerhard Gutruf, Blauensteiner schließlich überreden konnte, das Lokal doch besser ihm zu verpachten. 

Alter Chef als Stammgast

Und so kam’s, dass Lentsch, in den 1980ern erst drei Jahre Lehrling unter Helmut Österreicher und dann noch vier Jahre Koch im alten Steirereck in der Rasumofskygasse, ab 2008 neuer Chef und Blauensteiner bis zu seinem Tod 2023 Stammgast im eigenen Lokal war. 

Wo er, wenn er nicht grad Karten spielte, in eine grüne Schürze gehüllt, als Schankbursch half.

46-215397918

Kellner Andi ist seit 13 Jahren fixer Bestandteil des Blauensteiner. Und wie das Wirtshaus ein Original.

Karten gespielt wird auch heute noch im Blauensteiner, vornehmlich geschnapst. Hat das Mittagsg’schäft nachgelassen und das Abendg’schäft noch nicht eingesetzt, nehmen Erich und Kellner Andi, auch schon seit 13 Jahren nicht wegzudenken aus diesem Wirtshaus, gerne am sogenannten Haustisch gegenüber der alten, dunkelgrün lackierten Schank Platz und ein Bummerl in Angriff. So wie jetzt eben. 

„Wer g’winnt?“, frag ich. „Meist ich“, kommt’s gleichzeitig aus zwei Kehlen.

Wenn das Neue alt bleibt

Zwei Mal wurde im Lauf der Jahrzehnte restauriert, 1969 und 2009, aber ausschauen tut’s wie eigentlich eh immer schon. „Vieles ist neu, also ganz neu jetzt auch nicht mehr, aber schon 2009 wurde das Neue auf alt gemacht. Der Boden zum Beispiel. Oder die Tische“, sagt Erich. 

„Die Gestaltung des Interieurs hat dabei hauptsächlich der Maler Gutruf übernommen, die technischen Probleme bei der Renovierung hat der Baumeister Langsteiner gelöst.“ 

Und so sitze ich nun im gefühlt sieben Meter hohen Schankraum an einem der Holztische, während im nur durch eine drei Meter hohe Holzwand abgetrennten und ebenfalls gefühlt sieben Meter hohen Nebenraum die Resopaltische in der Mehrheit sind, und genieße ein gebackenes Bries.

Warum es so zart bleibt

„Was ich anders mache als viele andere, ich koche das Bries vor dem Häuten nicht mehrere Minuten, ich überbrüh’s nur kurz, maximal 60 Sekunden. So kommt’s dann quasi in rohem Zustand paniert in die Pfanne und bleibt extrem zart“, sagt Erich.

46-215397632

Wenn’s auf der Karte steht, dann sollte man sich’s auch gönnen: das Blauensteiner-Bries ist famos.
 

„Nicht in die Fritteuse?“, frage ich mit einem Augenzwinkern. „Willst mich beleidigen?“, empört sich Erich. „Fritteuse kommt mir keine ins Haus. Alles Panierte kommt in die Pfanne, den Unterschied schmeckst bis Donaustadt. Magst nachher auch das Rindsgulasch kosten?“

„Unbedingt“, sag ich, und schon wenig später bin ich sehr glücklich, soeben eines der wohl besten der Stadt gegessen zu haben. Was übrigens auch für das Bries gilt.

Das Mittagessen zieht sich schließlich bis weit in den Nachmittag. Fazit nach ein paar sehr genussvollen Stunden: Wer in der Josefstadt die Stadt Paris besucht, begibt sich auf eine Zeitreise. Auf eine Zeitreise in die Wiener Wirtshausvergangenheit, die dank solcher Lokale glücklicherweise immer noch Gegenwart ist. Und Zukunft hat. Prost, Mahlzeit.

Am nächsten Sonntag lesen Sie: Kamolz im Retzbacherhof

Kommentare