Modellbau: Große Freude an der Welt im Kleinen
Punkt neun Uhr – und keine Minute früher! – öffnen sich die Schranken. Die Menschentraube, die sich vor dem Eingang gebildet hat, gerät in Bewegung. Und das ziemlich schnell. Die meisten eilen, einige laufen sogar, manche ziehen Rollkoffer hinter sich her.
Es ist ein bisschen wie auf dem Flohmarkt: Wer das gute Zeug haben will, muss früh da sein. Punkt 9 Uhr – das ist die Zeit für die Schnäppchenjäger, wie die Händler sagen. Der Messe-Chef nennt sie die „Hardcore-Modellbauer“.
Seit zwanzig Jahren findet rund um den Nationalfeiertag in Wien die Modellbaumesse statt. Ungefähr alles, das fährt (oder fliegt), gibt es hier im Miniaturformat: Modell-Flieger, Modell-Pistenraupen, Modell-Seilbahnen und – vor allem – Modelleisenbahnen. 180 Hersteller, Händler und Modellbau-Klubs stellen bis Sonntag in der Messe Wien aus.
Hier hat jede Besuchergruppe ihre eigene Zeit. Nach den Schnäppchenjägern um 9 Uhr kommen um 12 Uhr „die, die schauen wollen“, am Samstag um 10 Uhr erscheint die „Kinderwagen-Armada“, wie man erklärt. Auch am Sonntag ist Familientag.
In der Halle B der Messe Wien hat die „Arbeitsgemeinschaft Modellbahn soll Spaß machen“ ihre 100 Meter lange Anlage aufgebaut: Die Züge werden hier an roten Signalen gestoppt, der Bremsweg wird maßstabgetreu eingehalten. Die Stadt drum herum bauen die Hobby-Freunde, weil es „halt auch dazugehört“. (Womit wir – ganz nebenbei – auch schon beim ewigen Richtungsstreit unter Modellbahnern wären: Worum geht es? Um den den realitätsnahen Bahnbetrieb? Oder um das Erschaffen detailverliebter, faszinierender Fantasiewelten?)
Zwanzig Stunden pro Woche investieren die Männer in ihr Hobby. Übers Geld wollen sie nicht reden – zumindest nicht so viel. „Aber eine E-Klasse würd’ sich schon drum ausgehen“, sagt Franz Liesbauer von der Arge. Egal. „Man gönnt sich ja sonst nix.“
Der Boom ist vorbei
Zwischen 52.000 und 65.000 Besucher kommen jedes Jahr zur Modellbau-Messe nach Wien. Die Messe liegt damit im guten Mittelfeld. Die Zielgruppe ist kleiner als bei anderen Themen – und speziell.
Der Modelleisenbahn haftet mitunter etwas Verstaubtes an. Wer daran denkt, hat oft die Spielbahnen – ein Ausdruck, den echte Modellbahner ungern hören! – in den Kinderzimmern vergangener Generationen vor Augen. Die Marken Märklin und Kleinbahn sind vielen ein Begriff.
Tatsächlich ist das Hobby traditionsreich: Erste Modelleisenbahnen gab es in Großbritannien bereits im 18. und 19. Jahrhundert. Im deutschsprachigen Raum erlebte das Hobby vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg seine Blütezeit. Von den 1960er- bis in die 1990er-Jahre, da habe es so richtig gebrummt, erzählt etwa Günther Ritter. Seit 1985 führt seine Familie ein Geschäft für Modellbahntechnik in der Quellenstraße in Favoriten. 2004 hat es Günther Ritter übernommen. Jedes Jahr stellt er auf der Wiener Modellbaumesse aus.
„Als ich ein kleiner Bub war, gab es für die Burschen zu Weihnachten entweder einen Lederfußball oder eine Eisenbahn“, erzählt Günther Ritter. Heute kämpfen Händler wie er um die Kunden, die ihnen sprichwörtlich wegsterben. „Und die, die das Zeug dann erben, schmeißen alles auf den Markt.“
Auf Internet-Plattformen wie Ebay oder Willhaben gibt es die Ware deutlich billiger, als sie Händler je anbieten könnten. Nachwuchs gibt es in der Szene zwar, aber nicht übermäßig viel. „Diese Lücke wird wohl erst in zehn oder 15 Jahren geschlossen sein“, vermutet Ritter.
Dabei versucht die Branche, mit der Zeit zu gehen: Die Gebäudemodelle werden immer detailreicher, die Modellbau-Materialien immer realistischer. Unzählige Gräsermischungen, spezielles Laub für selbst gemachte Modellbau-Bäume und sogar einzelne Blumen, Obst und Gemüse im Maßstab 1:87 gibt es zu kaufen. (Ohne Pinzette und Lupe geht da nicht mehr viel.) Bei der Modellbaumesse ist die Auswahl alljährlich so groß wie sonst nie in Wien.
Hi, Freaks!
Seit Jahren nicht geändert hat sich jedenfalls, dass Modellbahner allzu gerne ein bisschen belächelt werden. Immer wieder treffen etwa in Günther Ritters Geschäft Arbeitskollegen aufeinandertreffen, die nichts vom Hobby des anderen wissen. „Modelleisenbahner gelten als Freaks oder werden als kindisch abgestempelt“, sagt Ritter.
Dabei geht es in erster Linie gar nicht darum, „Eisenbahn zu spielen“, sagt selbst Franz Liesbauer von der Arge Modellbahnbau (die ja, wie ihr voller Name schon sagt, Spaß machen soll). Es geht um (Elektro-)Technik, um Mechanik, ums Basteln. Und doch: „Es stimmt schon, wir sind Freaks“, sagt Liesbauer. „Jeder der sein Hobby ernst nimmt, ist ein Freak.“
Die Messe: Die Modellbaumesse findet noch bis Sonntag, 27. Oktober, auf 25.000 Quadratmetern in der Messe Wien statt. Info: 2., Messeplatz 1; Do-Sa von 9-18 Uhr, So 9-17 Uhr. Infos: modell-bau.at
Händler: Der Familienbetrieb Modellbahntechnik Ritter besteht seit 1985. Fachkundiger Service. 10., Quellenstraße 24b; Mo-Fr 10 bis 18 Uhr, Sa 9 bis 12 Uhr. Infos: modellbahntechnik.at
Oft für ein Schnäppchen gut: Der kleine, unscheinbare Second- Hand-Laden in der Ahornergasse 3, 7. Bezirk. Mo-Fr 9.30 bis 18.30, Sa 9.30 bis 13 Uhr.
Gute Auswahl: Modellbahn Hagen in Liesing. 23., Breitenfurter Str. 381; Mo-Fr 9-12 und 14-18 Uhr, Sa 9-12.30 Uhr
Spezial-Tipp: Christian und Eva Stiller stellen in Schwadorf Modell-Laubbäume in Handarbeit her. Infos: stillertec.at
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