Mit der 3D-Brille am Tatort: Wie moderne Technik Ermittlern hilft
Seine Beobachtungsgabe und Experimente machten den großen Detektiv Sherlock Holmes berühmt. Die Methoden der Romanfigur aus dem 19. Jahrhundert wurden mittlerweile durch modernere ersetzt, wie zum Beispiel durch 3-D-Technik. Seit 2020 nutzt das Bundeskriminalamt (BK) dieses Mittel, um Tatorte quasi optisch zu konservieren.
Wie faszinierend wäre es wohl für Sherlock Holmes gewesen, an den Tatort zurückkehren zu können? Gleich vorab, es ist auch in der heutigen Welt eine spannende Erfahrung. Der KURIER durfte diese Technologie testen.
Viele Perspektiven
Beim Aufsetzen der 3-D-Brille kann einem kurz schwindelig werden, wenn man sozusagen durch den virtuellen Raum schwebt. Nach einer kurzen Gewöhnungsphase kann man aber schon Details erkennen und die Szenerie aus jeder gewünschten Perspektive betrachten.
Die Aufnahmen werden mit einem 3-D-Laserscanner gemacht, der mit zwei Millionen Messpunkten den Tatort vermisst. Das dauert circa zwei Minuten. Wichtige Details, beispielsweise an Leichen, werden von den BK-Experten dann per Handscanner aufgenommen oder mittels spezieller Fotografie durch LKA-Experten dokumentiert und später per Computer zu einem großen Bild zusammengesetzt. „Das ist eigentlich die schwierigste Aufgabe“, erläutert Gerhard Ranftl, Leiter des Büros für Tatortarbeit im Bundeskriminalamt.
Erster großer Einsatz
„Wir haben die Laserscanner einen Tag vor dem Terroranschlag in Wien als einsatzbereit gemeldet. Dort wurden sie dann sofort gebraucht“, erklärt Ranftl. Durch die Aufnahmen können Ermittler später Schusswinkel vermessen oder Blutspurenmuster analysieren. Ein weiteres Einsatzgebiet wäre die Justiz. Geschworene und Richter hätten so die Möglichkeit, virtuell an den Tatort zurückzukehren und sich selbst ein Bild zu machen. Zum Einsatz kam die Technologie in diesem Bereich bisher aber noch nicht.
Neben dem Terroranschlag von Wien wurden auch das Zugunglück in Münchendorf auf der Pottendorfer Linie (Niederösterreich) oder der Mord an Apotheker Heinrich Burggasser zu Neujahr in Wien dem Laserscanner vermessen.
Anfang Mai 2022 standen die Laserscanner-Experten des BK, Andreas Frais und Kristijan Pilic, vor einer Herkulesaufgabe: Sie wurden zum Zugunglück im niederösterreichischen Münchendorf gerufen. Damals entgleise ein Zug auf der Pottendorfer Linie, ein 25-Jähriger starb, mehrere Menschen wurden verletzt.
Die besondere Herausforderung für die BK-Experten war einerseits die Größe und auch die Vielfältigkeit des Unglücksortes.
Der Scanner musste an 74 Messpunkten eine Aufnahme machen. Schon vor Ort wurde dann per Tablett überprüft, ob auch wirklich alles abgedeckt ist. „Man muss im Inneren des Zugs und auch in dem großen Außenbereich alles abdecken. Besonders schwierig wird es, wenn es viele Spiegelflächen wie Fenster gibt. Das ist bei einem Zug natürlich der Fall. Diese Flächen kann der Scanner nicht erfassen. Man muss das bei den Aufnahmen und bei der Bearbeitung im Nachhinein natürlich bedenken“, sagt Frais.
Das ganze 360-Grad-Panoramabild wird dann von den Experten auf Hochleistungsrechnern zusammengesetzt. Um den gesamten Ort des Unglücks in Münchendorf zu erfassen, wurden damals auch Drohnen eingesetzt. Ein größeres Modell, das dazu dienst, den Unglücksort übersichtlich abzubilden. Eine kleinere Dohne war im Inneren des Zugs im Einsatz, nämlich dort, wo es zu gefährlich war, hineinzugehen.
Manche Bereiche der Tatortarbeit haben sich andererseits seit über 100 Jahren nicht verändert, wie das Sichern von Fingerabdrücken. Immer noch sind sie ein wichtiges Indiz in Kriminalfällen.
Forschung in Wien
Im Referenzlabor für Daktyloskopie wird aber auch zu diesem Thema weiter geforscht. Die Chemiker und Kriminalbeamten suchen ständig nach neuen Techniken, um Fingerabdrücke oder DNA von verschiedenen Oberflächen sichern zu können. Zur Spurensuche auf einer Alufolie braucht man eine ganz andere Technik, als zum Beispiel auf einem Plastiksackerl. „Es gibt immer neue wissenschaftliche Ansätze, wie man in solchen Fällen vorgehen kann. Wir testen die Methoden, forschen selbst und versuchen zu schauen, was in Polizeilaboren am besten und schnellsten eingesetzt werden kann“, sagt Gerald Birnbaumer, der das Büro leitet.
Der moderne Sherlock Holmes verlässt sich also auf Technologie. Was sich aber nie verändern wird, ist das Gespür, das Ermittler brauchen – damals wie heute.
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