Wie minderjährige Flüchtlinge neue Stabilität in Wien-Hietzing finden

Von Maximilian Gruber und Jasmin Sharma
Das Wappen mit dem Adler findet er toll. Der Bub ist erst vor ein paar Monaten nach Österreich gekommen, ohne seine Eltern. Im März hat sein Deutschkurs begonnen, nun ist er bereits auf A2-Niveau. Besonders die österreichische Geschichte begeistert ihn.
Der Bub wohnt in einer inklusiven Wohngruppe, einem neuen Angebot des SOS-Kinderdorfs Wien, in denen Kinder mit und ohne Fluchthintergrund zusammenleben. Hier sollen Kinder und Jugendliche, die ohne ihre Eltern oder andere Familienangehörige nach Österreich geflohen sind, Sicherheit, Stabilität und Unterstützung bekommen.
Der lange Weg in die WG
Im Jahr 2025 sind bisher 353 unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge nach Österreich gekommen, so die Zahlen der Asylstatistik des Bundesinnenministeriums. Sie kommen aus den verschiedensten Ländern. NGOs bezeichnen diese Kinder und Jugendlichen auch als „Fluchtwaisen“.
„Die Kids werden weggeschickt, damit sie überleben, weil es dort, wo sie aufgewachsen sind, nicht mehr sicher ist“, erzählt Dieter Schrattenholzer, Leiter des SOS Kinderdorf Wien West.
Nach ihrer Ankunft in Österreich werden sie in Erstaufnahmezentren untergebracht, das bekannteste davon ist in Traiskirchen. Hier stellen die unbegleiteten Minderjährigen einen Asylantrag, um potenziell einen Aufenthaltstitel in Österreich zu erlangen. Mit diesem Antrag beginnt die Wartezeit.
Bis ein Kind wirklich in eine WG, wie jene im 13. Bezirk, kommt, durchläuft es viele Stationen. Schrattenholzer kritisiert das lange Warten, denn in dieser Zeit könne sich niemand individuell um die Kinder kümmern. Dadurch werden die „Fluchtwaisen“ abgekapselt. Auch dürfen sie in der Zeit nicht in die Regelschule gehen und werden dort beschult. „Wir brauchen Obsorge ab Tag eins“, fordert er.
Schlussendlich werden die Kinder den verschiedenen NGOs zugeteilt, je nach Bedürfnissen und Plätze. Bei SOS-Kinderdorf bieten neben Gastfamilien und betreuten Wohnungen besonders Wohngruppen ein neues Zuhause – und dadurch erstmals Sicherheit nach einem langen Fluchtweg.
Die WG im 13. Bezirk
„Wir versuchen, wie eine ganz normale Familie zu denken“, sagt Jürgen Rosenitsch, pädagogischer Leiter der Wohngruppe. Wie in einem normalen Zuhause werden die Kinder in den Haushalt eingebunden und helfen auch beim wöchentlichen Einkauf. Angelehnt an eine normale Familie ist auch das Betreuungssystem: „Wo sonst Eltern wären, gibt es zwei Hauptansprechpartner“, erklärt Rosenitsch. Freilich sei jeder Betreuer für alle Kinder da, doch die beiden Hauptbetreuer wissen über alles Bescheid, sei es in Sachen Schule, Medizin oder Rechtliches – wie Eltern eben.
Denn was ein Zuhause ausmache, so Rosenitsch, seien Beziehungen. „Je kleiner das Setting ist, desto besser ist es für die Kinder und Jugendlichen. Sie kommen schneller an und lernen schneller Deutsch“.
Diese Wohnsituation ist laut Dieter Schrattenholzer ein Novum von Wien. Die Kinder sollen davon profitieren: Ein Bub, der einmal Gärtner oder Koch werden möchte, könne in der inklusiven WG beim Rasenmähen und Eintopfmachen besser unterstützt werden.
Mit 18 ist Schluss
Die durchschnittliche österreichische Person zieht mit 24 Jahren aus dem Elternhaus aus und versucht, auf eigenen Beinen zu stehen. Doch die Kinder in der WG müssen mit 18 raus aus der Kinder- und Jugendhilfe, heißt: raus aus der WG, rein in eine eigene Wohnung.
Es besteht zwar die Möglichkeit, zu verlängern, wobei diese Verlängerung oft nur an eine noch andauernde Ausbildung gekoppelt ist. Direkt nach dem Abschluss – etwa der Matura – müssen sie ausziehen. „Sie können den Abschluss gar nicht richtig genießen, weil sie 2 oder 3 Tage später schon aus der WG ausziehen müssen“, sagt Schrattenholzer.
Ein weiteres Problem: Ausbildungswechsel können die Verlängerung erschweren. Der junge Bub, der eigentlich das Glück hat, zwei Berufe toll zu finden, steht also früh vor der Entscheidung, welchen Weg er einschlagen soll – ein enormer Druck für die Kinder. Nachdem die Kinder also von einer Reise voller Unsicherheiten an einen sicheren Ort kommen, stehen sie erneut vor einer unsicheren Zukunft.
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