Dublin III - darauf beruft sich das Innenministerium unter ÖVP-Minister Gerhard Karner. Daria ist nämlich mit einem italienischen Visum eingereist und hat hier um Asyl angesucht, die Dublin-Vereinbarung ermöglicht es, die 22-Jährige abzuschieben. Eine Entscheidung der Behörde, ohne Einflussmöglichkeit des Ministers.
Dass das Beschwerdeverfahren nicht abgewartet wurde, dass die Frau in psychologischer Behandlung ist, dass sie aufgrund ihrer Flucht aus Russland traumatisiert ist, dass sie bereit gewesen wäre, mit der Hilfe ihres Umfeldes eine gut begleitete Ausreise nach Italien durchzuführen? Die Behörde prüfe selbstverständlich alle Umstände, heißt es dazu aus dem Innenministerium.
Frauen in der IT-Branche gesucht
Und während Bildungsminister Martin Polaschek gerade in Albanien war, um IT-Studierende nach Österreich zu bringen, wird eine IT-Studentin, die sich in kurzer Zeit bestens in Linz integriert hat, ins benachbarte Italien abgeschoben.
Daria wird von ihrem Professor Thomas Gegenhuber unterstützt, ebenso von vielen Studienkollegen, Mitarbeitern und Professoren der JKU. Ein junger Mann mit besonders traurigen, dunklen Augen, studiert nicht an der Uni. Er ist, wie Daria, Flüchtling.
Saeed, 23 Jahre alt, kommt aus Jemen und hat in Österreich um Asyl angesucht. Sein Verfahren läuft. Er hat Daria in einer Flüchtlingsunterkunft in Bad Goisern kennen gelernt. Erst, um Englisch zu lernen, später haben sie sich ineinander verliebt. Seit etwa einem halben Jahr sind sie ein Paar.
Saeed hat Daria beschützt, erzählt er, als ein Betreuer in einer Flüchtlingsunterkunft Grenzen ihr gegenüber überschritten habe. "Du bist der einzige, der mir helfen kann, dem ich vertraue, hat sie zu mir gesagt", erinnert sich Said.
Aus Unterkunft geholt
Wenn er von dem Nachmittag vor zwei Tagen erzählt, als seine Freundin von der Polizei abgeholt wurde, kämpft der junge Mann immer mit den Tränen. Am Dienstag Nachmittag sei sie unter einem Vorwand in die Unterkunft geholt worden.
Dort sei Daria festgenommen und nach Salzburg überstellt worden. Unmittelbar nach der Festnahme schrieb sie ihrem Freund noch die dramatische Botschaft: "I am arrested." Danach: Funkstille. "Ich war so geschockt, dann ist die Kommunikation abgebrochen", schildert er. "Sie hatte ihr Handy nicht bei sich, aber alle meine Nachrichten wurden gelesen", sieht er die Privatsphäre seiner Freundin verletzt.
Erst am nächsten Tag habe Said wieder kurz mit ihr, für zwei Minuten, reden können: "Ich habe versucht, sie zu beruhigen, sie hatte noch nicht gegessen und kaum geschlafen. Und sie machte sich Sorgen wegen einem Test an der Uni." Ihre bislang letzte Nachricht an ihn: "I am mentally broken." Gebrochen. Eine 22-jährige Frau. Gebrochen wirkt Saeed jetzt auch, die Stimme bricht, er wendet sich ab, kann die Tränen nicht mehr zurückhalten: "Wir sind in einem schwarzen Loch gefangen, wissen nicht, was jetzt passieren wird."
Unmittelbar nach der Kundgebung vor der Uni in Linz fährt Saeed nach Wien. Dorthin ist Daria mittlerweile überstellt worden. Dort soll er seine Freundin treffen dürfen. Ein letztes Mal, ehe sie am Freitag, um 10.20 Uhr in Venedig ankommen soll.
Überraschende Enthaftung
Am Nachmittag überschlagen sich dann die Ereignisse. Julia Kolda, die Anwältin von Daria, hat die Festnahmeanordnung beeinsprucht. Die rechtlichen Schritte und die Proteste haben offenbar Wirkung gezeigt, das Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen dürfte erkannt haben, dass die gewählte Vorgangsweise falsch war und hat die Festnahmeanordnung wieder aufgehoben.
Daria ist eine freie Frau, Saeed kann sie in seine Arme schließen. Sie hat auch wieder einen Platz in ihrer bisherigen Unterkunft zugeteilt bekommen. In einer Videonachricht, die Saeed dem KURIER nach Darias Enthaftung geschickt hat, sagt sie: "Im Gefängnis ist die Frau zu mir gekommen und hat gesagt: Überraschung, du kannst gehen." Sie habe dann ihre Sachen genommen und sei gegangen.
Anwältin Julia Kolda ist zumindest vorerst glücklich, die Enthaftung ihrer Mandantin erreicht zu haben. Darüber hinaus prüft die Landespolizeidirektion Salzburg, ob der jungen Frau im Polizeianhaltezentrum Salzburg tatsächlich Beruhigungsmittel verabreicht worden sind - gegen ihren ausdrücklichen Wunsch.
Geflüchtet ist Daria aus Russland übrigens aus Angst vor Putins Regime, weil sie gegen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine demonstriert hat. Und das ist bei schweren Strafen für russische Staatsangehörige verboten. Und laut Asylrechtsexperten jedenfalls ein Asylgrund in Österreich und der EU.
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