Millionengeschäft mit Beatmung: Aufstand der Atemlosen
Rita Fussenegger
Es geht um viel Geld, und zwar um richtig viel. Menschen mit einer invasiven Beatmung brauchen rund um die Uhr eine hochspezialisierte Pflegekraft, denn es droht jederzeit der Erstickungstod, wenn nicht jemand innerhalb von Sekunden den Schleim aus der Lunge saugt.
Lange Zeit gab es für die Beatmeten nur ein Dasein in einem Intensiv- oder Überwachungsbett. Offiziell kosten diese rund 2000 Euro pro Tag, hinter vorgehaltener Hand ist allerdings von tatsächlichen Kosten im doppelten bis dreifachen Bereich die Rede. Pro Jahr und Patient kommt jedenfalls ein Millionbetrag zustande.
Hunderte Patienten werden über Tracheostoma mit Kanüle beatmet
Je nach Schätzungen gibt es in Österreich 500 bis 3000 Personen, die den dafür notwendigen Tracheostoma-Einstich in die Luftröhre bekommen haben und über eine Kanüle versorgt werden. Bis heute raten Ärzte auf Intensivstationen oft davon ab und halten Sterben für die bessere Option. Doch heutzutage können Menschen mit der unheilbaren Krankheit ALS dadurch im Durchschnitt sieben statt drei Jahre leben, ergab eine Studie der Berliner Charité.
Die Lebensqualität ist derartig hoch, dass es beispielsweise zwei Journalisten oder einen Lehrer gibt, die trotz ständiger künstlicher Beatmung normal arbeiten und Kinder, die jedes Jahr nach Italien auf Urlaub fahren.
Pflege Donaustadt betreut 30 dieser Intensiv-Patienten mit Kanüle
Auf die Heimbetreuung haben sich mittlerweile vier Pflegefirmen spezialisiert, die die Menschen zuhause wie in einer Intensivstation pflegen - mit 12- und 24-Stundendiensten durch diplomierte Pflegekräfte. Doch es gibt auch so manche Glücksritter in der Branche, die Patienten aus den Spitälern herausholen, aber dann nicht ausreichend Personal haben. Eine Kärntner Firma etwa setzte schon mehrfach Patienten binnen weniger Tage Frist auf die Straße, was in Deutschland streng verboten wäre.
Die 23-jährige Rita Fussenegger berichtet, dass sie in ein Spital gebracht und nicht mehr abgeholt wurde. Andere Patienten sollen sogar bis zu zwei Jahre in Intensivstationen "geparkt" worden sein, weil man nicht wusste, wohin mit ihnen. Zuletzt musste die Wiener Firma care-ring mehrfach als Retter in der Not einspringen und stellte dank eines engagierten Pflegedienstleiters innerhalb weniger Tage ein Betreuungsteam auf. Normal dauert so etwas drei Monate.
Kein Spitalsbett in ganz Wien für Beatmeten
Die Krankenhäuser versuchen sich mittlerweile mit Händen und Füßen gegen diese Patienten zu wehren. Ein Patient bemüht sich seit Monaten vergeblich, einen Termin für eine dringend notwendige Darmspülung zu bekommen. Ein anderer wurde trotz Verdacht auf akutes Leberversagen von allen Wiener Spitälern abgelehnt.
Am Ende musste der Patient von der Rettung der Klinik Ottakring vor die Tür gesetzt werden. Dafür wurde er im Gegenzug nur auf eine Normalstation gebracht, wo Angehörige den Ärzten erklären mussten, wie eine herkömmliche Heimbeatmungsmaschine funktioniert.
Spezialisierte Pflegefirmen bekommen aktuell knapp 60 bis zu hundert Euro pro Stunde für die Betreuung. Während manche im unteren Bereich dafür bei Extremfällen einen diplomierten Pfleger und eine Hilfskraft finanzieren, bekommen die Spezialkräfte bei den teureren hingegen oft bestenfalls die Hälfte der lukrierten Summe. Dafür fließen Gelder mitunter auch mal in großzügige Fuhrparks, Marketing oder Firmen-Events im Casino Velden.
Dabei hängt das Leben der Betroffenen stets an einem seidenen Faden. Fussenegger etwa wurde in einem Spital vor die Wahl gestellt: Sterbehilfe oder in ein Pflegeheim nach Kärnten abgeschoben zu werden, wo es keine ordnungsgemäße Versorgung gibt. Tatsächlich sind in Österreich rund hundert Patienten in professionellen Heimen wie der Pflege Donaustadt untergebracht, wo es allerdings Wartezeiten bis zu zwei Jahren geben soll. Weitere hundert werden daheim von den vier Pflegefirmen versorgt.
Keine Auffangplätze, falls etwas schief geht
Hunderte Menschen sind völlig unterversorgt, müssen von Angehörigen gepflegt werden oder sich alles selbst organisieren - in der Steiermark etwa bekommt man ein persönliches Budget und muss sich damit selbst Pfleger organisieren und ausbilden. Fast überall - außer in Oberösterreich - fehlen Auffangplätze, um die Patienten notfalls unterzubringen.
"Wenn eine Betreuerin überfordert war oder plötzlich aufhörte, war ich in der Vergangenheit immer wieder unbetreut und musste daher in ein Krankenhaus, weil nirgends sonst meine Betreuung und damit mein Überleben gesichert war", berichtet ein Betroffener.
Dragan V. bekommt trotz OGH-Urteils keine Intensivpflege
Dragan V., 51, ist ein Beispiel, wie Todkranke mit der Bürokratie zu kämpfen haben. Laut einem OGH-Urteil müsste Dauerbeatmeten automatisch die Pflegestufe 7 gegeben werden, doch erhielt der ALS-Kranke nur 6. Das Land Niederösterreich verweigert ihm deshalb eine Intensivpflege. Da er keine Angehörigen hat, versucht nun eine gemeinnützige Wiener Pflegefirma für ihn zu kämpfen - bisher vergeblich.
Rita Fussenegger kann hingegen mittlerweile wieder selbstständig gehen und versucht, Investoren für ihr Startup "AufAtmenWG" zu finden, um auf eigene Faust dringend benötigte Beatmungs-Wohngemeinschaften zu gründen.
Deutschland als Vorbild für Österreich
"In Deutschland gibt es das und wir wollen vier bis maximal sechs Patienten unterbringen. Für die WGs benötigt man weniger Personal pro Patienten, hat aber im Notfall immer jemanden vor Ort", erklärt die 23-Jährige, die so nebenbei auf eine neue Lunge und eine Knochenmarkstransplantation wartet.
Auch andere Patienten greifen mittlerweile zur Selbsthilfe und deren Angehörige verstellen mangels Spitals-Unterstützung eigenständig die Beatmungseinstellungen, was eigentlich lebensgefährlich ist.
Aktuell beraten Länder und das Sozialministerium von Korinna Schumann (SPÖ) in einer geheimen Arbeitsgruppe (ohne Patientenvertreter), wie es weitergehen soll. Einerseits könnte es erstmals eine Qualitätssicherung geben und eine geordnete Vergabe der Patienten statt mitunter Raubritter-ähnlicher Akquise in den Spitälern. Doch es könnte auch schlechte Nachrichten geben. Vor allem ein Bundesland drängt offenbar darauf, dass die Kanülen-Patienten nur noch von unqualifizierten Hilfskräften versorgt werden.
Wird dies tatsächlich umgesetzt, dürften die Intensivstationen sehr rasch wieder gut gefüllt sein. Und die Atemlosen (sowie ihre Angehörigen) werden auf die Barrikaden steigen.
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