Unzählige Unfälle: Warum Kreisverkehre zur Todesfalle werden können
Den Einsatzkräften bot sich ein Bild des Grauens: Der Wagen nur noch ein Torso, fünf von sechs Insassen aus dem Fahrzeug geschleudert – vier von ihnen sofort tot.
Es war der wahrscheinlich schlimmste Unfall auf einem Kreisverkehr in Österreich, der sich zu Fronleichnam auf der Neunkirchner Allee in Niederösterreich ereignet hat.
Der Pkw mit schwedischer Zulassung war laut Polizeiangaben ungebremst in den Kreisverkehr gerast, dort wie auf einer Schanze abgehoben, um erst 100 Meter später zum Stillstand zu kommen.
KURIER-Recherchen zeigen: Fälle von Geradeausfahrern im Kreisverkehr häufen sich, weshalb auch das Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV) nun bauliche Änderungen diskutieren möchte.
Unzählige Fälle
Der Kreisverkehr gilt landesweit nicht nur als eine Art Geheimwaffe, um gefährliche Kreuzungen ampelfrei zu entschärfen, sondern auch als unerschöpfliche Quelle von Kabarettisten-Witzchen über Landespolitiker.
Erst jüngst sorgte ein Video von ORF-Comedian Peter Klien für Lacher, weil ein Gemeindevertreter von Göming (Salzburger Flachgau) berichtete, dass viele Autos über den einzigen Kreisverkehr im Ort „mittendurch drüberfahren“ würden. Das Lachen vergeht dann aber nicht nur den Unfallopfern, für die Kreisverkehre zur Todesfalle werden können, sondern auch den Helfern bei Feuerwehren und Rettung, die bei manchen Kreiseln in Permanenz ausrücken müssen.
Tatsächlich finden sich im Archiv unzählige Fälle, wo Lenker den Kreisverkehr direttissima passieren wollten – sei es wegen überhöhter Geschwindigkeit, Alkoholismus oder schlicht, weil sie unachtsam waren. Ein besonderes Exempel ist auch der Kreisverkehr nach der Umfahrung Wieselburg in Mühling (NÖ), wo seit der Eröffnung vor drei Jahren schon mindestens fünf Mal ein Fahrzeug in der Mittelinsel gelandet ist und die dortige Metallskulptur gerammt hat.
Aber auch der berühmteste Kreisverkehr des Landes – jener in Tulln mit dem alten Draken – war in den vergangenen Jahren schon mehrfach Schauplatz solcher Unfälle.
Kein Tempolimit
Grundsätzlich gibt es im Kreisverkehr kein fixes Tempolimit, weshalb die Unfälle im Ortsgebiet von Tulln – wenn auch mit hohem Schaden – deutlich glimpflicher ausgegangen sind als jene in Wieselburg (70 km/h) oder eben in Neunkirchen, wo gar kein Limit gilt und theoretisch 100 gefahren werden darf.
Dass Otto Normalfahrer seinen Pkw um die Kreisverkehr-Kurve wuchtet wie Max Verstappen seinen Boliden durch eine Schikane darf aber ausgeschlossen werden. Wer es dennoch versucht, für den können die derzeitigen baulichen Gegebenheiten dann zur Falle werden: Fast alle Kreisverkehre in Österreich sind stark erhöht, aufgeschüttet und meist bepflanzt – oder mit regionalen Werbetafeln, Kunstwerken oder anderem Inventar bestückt.
"Fehlerverzeihende Straßen"
Was prinzipiell nicht schlecht ist, wie Verkehrssicherheitsexperte Klaus Robatsch vom KFV erörtert: „Alle internationalen Untersuchungen zeigen, dass man nicht drübersehen darf, sonst fährt man zu schnell darauf zu.“
Dennoch sollte das Prinzip der „fehlerverzeihenden Straße“ gelten: „Nur weil einer einen schweren Fehler macht, darf er nicht gleich getötet werden“, so Robatsch, der die Thematik Kreisverkehr nun verstärkt diskutieren möchte. Zuständig für die baulichen Richtlinien für Kreisverkehre ist die „Forschungsgesellschaft Straße-Schiene-Verkehr“ – und da sollte man sich im zuständigen Ausschuss die geltende Norm wieder einmal ansehen, meint Robatsch: „Vielleicht haben wir etwas übersehen. Das ist ein wunder Punkt.“
Statt mit festen Gegenständen könnten Kreisverkehre ja auch mit (nachgebenden) Hecken oder Büschen ausgestaltet werden, meint der Experte.
Die Direttissima-Unfälle dürften auch eine Folge des Erfolges der Kreisverkehre und damit so etwas wie Kollateralschäden sein: Denn meist wird ein Kreisel dort als Tempobremse errichtet, wo es Unfallhäufungspunkte gibt; gehen die Unfälle dann drastisch zurück (um bis zu 80 Prozent), fallen die mitunter schlimm endenden Geradeausfahrten statistisch nicht mehr auf – schon gar nicht bundesweit.
"Kreisverkehr wirkt wie ein Katapult"
Auch aus der Landespolizeidirektion Niederösterreich heißt es, dass es auf der berüchtigten Raserstrecke bei Neunkirchen früher ohne Kreisverkehr ungleich mehr Unfälle gegeben hätte. Allerdings: Schon vor dem Horrorunfall kam es dort zu ähnlichen Crashs. „Der Kreisverkehr wirkt dann wie ein Katapult und die Autos heben ab“, hieß es von der Polizei.
Sicherste Kreuzungsform
Jedenfalls wird besagter Kreisel nun „einer entsprechenden Prüfung unterzogen“, wie Gerhard Fichtinger vom NÖ-Straßendienst mitteilt: „Treten bei Kreisverkehren gehäuft Unfälle auf, so wird seitens der zuständigen Verkehrsbehörde eine Verkehrsverhandlung abgehalten, um festzustellen, ob und welche Maßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit erforderlich sind.“
Trotz allem sagt Robatsch: „Der Kreisverkehr ist die weitaus sicherste Kreuzungsform.“ Zumindest laut Statistik.
Kommentare