Kindesmissbrauch: "Nur fünf Prozent der Täter sind wirklich pädophil"

Kindesmissbrauch: "Nur fünf Prozent der Täter sind wirklich pädophil"
Der KURIER hat mit einem Psychiater gesprochen, der täglich Pädophile begutachtet – und einschätzt, welches Risiko von ihnen ausgeht.

Reinhard Eher, 60, leitet die Begutachtungsstelle für Sexualstraftäter (Best) in Wien. Der Psychiater taucht in das Seelenleben pädophiler Straftäter ein, um deren Gefährlichkeit im Falle einer Entlassung einzuschätzen.

KURIER: Woran erkennen Sie einen Pädophilen?

Reinhard Eher: Ein klassischer Pädophiler sagt nicht, ich habe eine Störung. Der sagt, das Kind ist auffällig und hat mir angedeutet, dass es das will.

Was ist ein „nicht klassisch“ Pädophiler?

Unter den wegen Kindesmissbrauchs Verurteilten liegt der Anteil wirklich Pädophiler bei fünf Prozent. Das sind schwergestörte Menschen, die sexuell nur von Kinderkörpern erregbar sind. Der größere Teil begeht zum Beispiel Kindesmissbrauch, wenn erwachsene Sexualpartner nicht zur Verfügung stehen. Es kann sich auch um Macht und Dominanz handeln. Oft kommt diese Neigung in schwierigen Lebensphasen zum Vorschein.

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Was ist die Aufgabe der Best?

Wir müssen ein konkretes Bild über die Störung und die Gefährlichkeit bekommen. Darauf basierend erstellen wir ein Gutachten mit Behandlungsvorschlägen – sowohl psychotherapeutisch als auch psychopharmakologisch. Wir sind aber keine Hellseher. Prinzipiell gilt: Je öfter jemand eine Tat begangen hat, desto wahrscheinlicher begeht er sie wieder.

Was kann man mit einer Behandlung erreichen?

Es gibt Möglichkeiten, die Rückfallgefährdung zu reduzieren. Ziel der Therapie ist es, dass Patienten aufhören, sich bezüglich der eigenen Störung zu belügen – und dementsprechend handeln. Pharmakologisch kann man nur den Trieb behandeln, der bei Pädophilie oft pathologisch erhöht ist. Es gibt Pädophile, die unvorstellbare Mengen an Missbrauchsdarstellungen horten und stundenlang vor dem PC sitzen und onanieren. Das kann man medikamentös behandeln. Gegen eine Sexualpräferenz auf den präpubertären Körper wirkt aber kein Medikament der Welt.

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Die Täter belügen sich?

Das Wesen dieser Störungen ist es, Dinge zu verdrehen. Die Hartnäckigkeit überrascht immer wieder, wenn die Täter fast wahnhaft behaupten, die Kinder hätten das mitinitiiert. Aber irgendwie müssen sie es sich selbst erklären, damit sie sich nicht ständig unwohl fühlen.

Warum sammelt jemand Tausende Missbrauchsdarstellungen?

Der Konsum von Missbrauchsabbildungen Minderjähriger ist nicht zwangsläufig ein Zeichen für Pädophilie. Meistens handelt es sich um einen Ausdruck der Sexualisierung. Das sind Menschen, die normale Pornos schauen und einen neuen Kick brauchen. Da sprechen wir aber nicht von denen, die 20.000 Dateien daheim haben.

Tut es den Tätern leid?

In der Regel überwiegen Bagatellisierungen und Rationalisierungen. Klassische Abwehrhandlungen also. Es gibt sehr wenige, die ein klares Wissen darüber haben, was sie getan haben.

Sie machen das seit Jahrzehnten, wie gehen Sie damit um?

Wir helfen mit unserer Arbeit, dass es weniger Opfer gibt. Als Ärzte und Psychologen sehen wir den Menschen dahinter, der nicht selten als Kind selbst missbraucht wurde. Das ist keine Rechtfertigung, aber Realität.

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