Klimawandel: Gletscher fallen immer schneller in sich zusammen

Gletschermesser Klaus Reingruber am Gosaugletscher West
Im Schnitt haben die vermessenen Gletscher im Vorjahr 24,1 Meter an Länge verloren - der dritthöchste Wert der Messgeschichte.

Nicole Slupetzky steht - wieder einmal - rat- und sprachlos da. Sie ist Vizepräsidentin des Österreichischen Alpenvereins und ist schon als Kind mit ihrem Vater Gletschervermessen gewesen. 

"Wenn man nachweisen kann, dass der Mensch schuld ist, wird es zu spät sein", hat er ihr in den 80-er-Jahren gesagt. Und er sollte Recht behalten. Das zeigen die Daten der Gletschermesser des Alpenvereins Jahr für Jahr aufs Neue. 

"Es ist nachweisbar, und es ist wohl zu spät", sagt sie heute ernüchtert. Denn die Ergebnisse der letzten Messung sind erneut nicht erfreulich. Da ist das internationale Jahr zum Schutz der Gletscher, das heuer ausgerufen wurde, für sie nur ein schwacher Trost. 

Drittschlimmstes Jahr der Messgeschichte

Denn mit 24,1 Meter durchschnittlichem Rückzug ist das Gletscherjahr 2023/24 (die Messperiode geht immer von Oktober bis September) auf Platz drei der größten Rückzüge der Eisriesen in den österreichischen Alpen - hinter jenen der Messjahre 2021/22 mit -28,7 m und 2016/17 mit -25,2 m – alle drei Negativrekordwerte wurden also innerhalb der letzten acht Jahre erreicht.

Klimawandel: Gletscher fallen immer schneller in sich zusammen

Sexegertenferner 2003

Klimawandel: Gletscher fallen immer schneller in sich zusammen

Sexegertenferner 2024

Auf dem ersten Platz landete heuer mit dem Sexegertenferner ein Gletscher in den Ötztaler Alpen. Er hat sich um 227,5 Meter zurückgezogen. "Die neuerlichen Rekordwerte zeigen eindrucksvoll, dass die Gletscher in eine massive Phase des Zerfalls getreten sind", stellt auch Gerhard Lieb fest, der gemeinsam mit Andreas Kellerer-Pirklbauer den Alpenverein-Gletschermessdienstes wissenschaftlich leitet.

Gletscherungünstige Zeiten

Das Vorjahr war von den Witterungsbedingungen erneut ein "gletscherungünstiges" Jahr. "Besonders die hohen Temperaturen in Juni, Juli und August 2024 haben dazu geführt, dass die Gletscher in rasantem Tempo abschmelzen konnten“, erklärt Kellerer-Pirklbauer. Zehn Monate waren im Schnitt zu warm, der an sich ausreichende Niederschlag war zu wenig. 

Dass im September mit dem massiven Niederschlägen auch viel Schnee auf den Gletschern gelandet ist, hat keine Abhilfe mehr gebracht. Und diese Niederschläge haben andernorts - Stichwort Niederösterreich - noch nie dagewesene Überschwemmungen gebracht. 

"Sie fällt immer mehr zusammen"

Auch der Pasterze, dem größten Gletscher Österreichs am Großglockner, geht das Eis immer mehr aus. "Sie fällt immer mehr zusammen, die Spalten werden mehr", sagt Kellerer-Pirklbauer über "seinen" Gletscher, den er auch vermisst. 

Klimawandel: Gletscher fallen immer schneller in sich zusammen

Pasterze 2024

Klimawandel: Gletscher fallen immer schneller in sich zusammen

Pasterze, 1928

Der Permafrost taut auf, es kommt immer häufiger zu Felsstürzen, wie etwa am Großglockner am 8. September, der von Webcam aufgezeichnet wurde.

Gletscher schmelzen zu riesigen Seen

Auch an den Gletscherseen ist die Veränderung ablesbar. Jener an der Pasterze hat sich seit 1994 von 0,2 auf fast 50 Hektar vergrößert. Und die Pasterze verliert auch massiv an Höhe: Die Pasterzenzunge hat im Schnitt 7,29 Meter verloren, an einer Stelle sogar 18 Meter, weiß Kellerer-Pirklbauer. 

1. Sexegertenferner (Ötztaler Alpen, Tirol): 227,5 Meter

2. Taschachferner (Ötztaler Alpen, Tirol): 176 Meter

3. Gepatschferner (Ötztaler Alpen, Tirol): 104 Meter

4. Hallstätter Gletscher (Dachstein, Oberösterreich): 73,3 Meter

5. Wildgerloskees (Zillertaler Alpen, Tirol): 68,7 Meter

6. Pasterze Hauptzunge (Glocknergruppe, Kärnten): 66,3 Meter

7. Ödenwinkelkees (Glocknergruppe, Salzburg): 59,1 Meter

8. Diemferner (Ötztaler Alpen, Tirol): 58,9 Meter

8. Fernauferner (Stubaier Alpen, Tirol): 58.9 Meter

10. Seekarlesferner (Ötztaler Alpen, Tirol): 56,0 Meter

Insgesamt sind das rund 13 Millionen Kubikmeter Eis, die die Pasterze im Vorjahr verloren: "Ein Eiswürfel mit einer Kantenlänge von fast 236 Metern – da passt fast ein ganzer Donauturm hinein", stellt Kellerer-Pirklbauer einen eindrucksvollen Bezug her. 

Ende der Gletscher in 50 Jahren fix

Für den Alpenverein ist angesichts der aktuellen Messergebnisse erneut klar: „Die österreichischen Gletscher existieren nur noch aufgrund der in der Vergangenheit gespeicherten Eismassen." In 40 bis 50 Jahren sind alle Gletscher in Österreich weg, ist Lieb überzeugt.

Der Österreichische Alpenverein fordert nun erneut einen ausnahmslosen Gletscherschutz, der neben den Gletscherflächen auch die fragilen Gletschervorfelder, also die Bereiche, die erst in den letzten rund 175 Jahren eisfrei wurden, umfasst. 

Klimawandel: Gletscher fallen immer schneller in sich zusammen

Zusätzlich pocht der Alpenverein darauf, dass in Gletscherskiregionen keine Erweiterungen der Skigebiete mehr genehmigt oder durchgeführt werden. 

Steigender Nutzungsdruck

Die Naturräume geraten durch einen steigenden Nutzungsdruck in Bedrängnis. Sensible Ökosysteme, die sich hier herausgebildet haben, sollen zugunsten einer hohen Biodiversität erhalten bleiben. 

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Stubacher Sonnblickkees

Klimawandel: Gletscher fallen immer schneller in sich zusammen

Stubacher Sonnblickkees

„Kurzfristig gibt es für die Gletscher keine Rettung, dennoch ist der Schutz der Gletscher und der Gletschervorfelder aber auch aller anderer naturnahen Freiräume, aus Sicht des Alpenvereins ein Gebot der Stunde", betont Slupetzky, die ergänzt: "Gletscherskigebiete versuchen, kurzfristig etwas zu retten, das nicht mehr zu retten ist." Dieser Druck, dieser Nutzungsdruck, gehöre unterbunden.

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Schlatenkees

Bei der Präsentation des ernüchternden Gletscherberichts blickt Kellerer-Pirklbauer in Innsbruck auf die Nordkette: „Das ist ein schöner Tag heute, aber es kommt schon der Saharastaub, der ist auch nicht förderlich.“ 

Zu heiß, zu wenig Niederschlag

Auch der erneut fehlende Niederschlag und die viel zu hohen Temperaturen sind furchtbar für die Gletscher, wenn nicht bald noch ein Niederschlag kommt, wird es dramatisch, sagt er: „Es ist alles andere als gut. Die Auswirkungen des vom Menschen gemachten Klimawandels sind enorm, die Rechnungen werden uns laufend präsentiert.“

Und zwar nicht nur in Österreich. Die Gletscher gehen weltweit zurück, das Grönländische Eisschild steuert auf einen Kipppunkt zu. "Aber der Alpenraum ist stärker betroffen als im globalen Mittel", weiß Lieb, der ergänzt: "Bei uns sind die Gletscher nicht für die Süßwasservorkommen verantwortlich. Das schaut in anderen Regionen der Welt ganz anders aus."

Deshalb appelliert Slupetzky abschließend - wie jedes Jahr: "Dem Klima ist es egal, dass es sich verändert. Für den Menschen ist das nicht egal. Wir müssen aufhören, zu sagen, weil der andere nichts tut, tu ich nichts. Die Politik muss sich an die Green Deals halten, jeder einzelne muss seinen CO2-Ausstoß verringern."

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