Am Donaukanal ist die goldene Wiener Backhendlzeit noch nicht vorbei. Dafür sorgt Roland Trappmaier in seiner exemplarisch prachtvollen „Gastwirtschaft zum Friedensrichter“
Das Wandgemälde erinnert an die Renaissance: eine hügelige Landschaft, die sich im Nirgendwo verläuft wie der Hintergrund der Mona Lisa, ein steinerner, von Reben überwachsener Torbogen, und davor zwei pausbackige Engel mit einem Transparent, auf dem geschrieben steht: „Hebt die Becher, all ihr Lieben, schenkt der Freude Raum und Zeit, spürt den Puls des vollen Lebens, hoch lebe die Gemeinsamkeit.“
Dieses sogenannte Trompe-l’œil ziert den Schankraum im „Gasthaus zum Friedensrichter“ in der Wiener Leopoldstadt, nur durch eine laute Durchzugstraße vom Donaukanal getrennt. Es ist in seiner Struktur beispielhaft für die traditionsreichen Gaststätten der Hauptstadt.
„Sowas muss man erhalten“, dachte Roland Trappmaier, als ein Gast ihn 2014 über die Verfügbarkeit des Lokals informierte. Die alte Geschichte: Es hat wieder jemand ohne Nachfolger aufgehört. Nicht auszudenken, dem Wirtshausjuwel hätte die letzte Sperrstunde geschlagen.
Im Schankraum liegt ein Linoleumboden mit Quadratmuster; die alte begehbare Schank trägt immer noch ihre patinierte eichenholzfarbene Hülle, nur hat der neue Wirt das Innenleben auf neuesten Kühltechnikstand gebracht; die Tische vorne sind ungedeckt, weil das gehört sich so für die Kartendippler und stillen Zecher, die früher einmal Beisln wie dieses ihr zweites Zuhause nannten.
Dann folgt eine beeindruckende Saalflucht mit Fischgrätparkett, altdeutschem Mobiliar und lamperiegetäfelten Wänden. Im ersten Saal fällt eine prachtvolle antiquarische Registrierkassa auf, von der noch kurz die Rede sein wird, im zweiten steht ein langer Tisch in der Mitte, auf dem eine beachtliche Auswahl an Diges-tifen auf Bestellung wartet, der dritte Saal wirkt fast schon so edel wie ein bürgerliches Speisezimmer.
Wann? Mo bis Fr 15 bis 23 Uhr; Kartenzahlung möglich
Was? Bekannt wurde Trappmaiers Gastwirtschaft für die Qualität der Wiener Panierküche; ausgezeichnet sind aber auch die gesottenen Gustostückerl vom Weiderind (20 Euro), die saisonalen vegetarischen Gerichte mit Bärlauch, Spargel oder Pilzen und bürgerliche Einsprengsel wie Weinbergschnecken mit Café de Paris-Butter (15 Euro) und Beeftatar (18 Euro). Hauptgerichte gibt es von 15 bis 26 Euro.
Warum? Der Friedensrichter ist beinahe so etwas wie eine Brasserie im Altwiener Stil – mit außerordentlich solider Küche, legerem Service (von Mitbetreiberin Alexandra Domini) und perfektem Ambiente. Die fein sortierte Weinkarte leistet keinerlei Beitrag zum privaten Budgetdefizit
Der Name Friedensrichter nimmt Bezug auf das einst geschäftige Treiben vor der Tür. Unten am Donaukanal befand sich nämlich seit 1908 die Kaiserbadschleuse mit dem Schützenhaus von Otto Wagner, wo auf dem Schiffsweg ankommende Waren gelöscht wurden. Und wenn dabei einmal dicke Luft herrschte, eilte der Friedensrichter herbei und schlichtete den Streit.
Vor den Friedensrichter tritt man heute vor allem wegen der weithin gerühmten Backwaren der pikanten Art, die durchwegs in der Pfanne – in bestem Öl und Schmalz – kross gebrutzelt werden: Schnitzel (vom Strohschwein), Backhendl (von glücklichen Wiesenhühnern) und Altwiener Backfleisch (von Leithaberger Weiderindern) gehören zu den besten ihrer Kategorie in ganz Wien.
Mit diesen Spezialitäten zum Abholen hat der Friedensrichter übrigens während der Lockdowns vielen Wienern panierten Trost gespendet.
Der nicht gebackene Klassiker im Friedensrichter: Gesottenes vom Weiderind mit Rösti, Spinat und Saucen-Duett
Jungkoch im Seniorenclub
Roland Trappmaier ist ein Wirtshauskind aus dem Bilderbuch. Seine Großmutter führte das beliebte Brückenbeisl auf dem Mexikoplatz. Für Oma Katharinas Fleischknödel standen die Leute damals bis zur alten Reichsbrücke Schlange.
Rolands Mutter ist die nächste Wirtin am Mexikoplatz. An einem 17. Dezember schupft sie noch die Weihnachtsfeier für die Belegschaft des damaligen Pastetenkaisers Hink, geht spät nach Hause und bringt am 18. Sohn Roland zur Welt. Jetzt kommt der Satz, den Roland Trappmaier immer sagt, wenn sich wer für seine Geschichte interessiert: „Was hätt’ ich werden sollen außer Koch?“
Er hat „nur schöne Erinnerungen“ an die Küche von Oma und Mutter und besucht in seiner Adoleszenz die Gastro-Fachschule am Judenplatz, wo Franz Zodl einer seiner Lehrer ist – der langjährige Fernsehkoch des „Seniorenclub“. Eine Legende. Einmal, erinnert sich Trappmaier, darf er als Assistent mit zum ORF; Zodl macht Feuerzangenbowle, fuchtelt in der für ihn typischen Art mit dem Streichholz herum, zündet den rumgetränkten Zucker an und ruft in die Stichflamme: „Ich fühl mich wie Zeus im Olymp!“
Was für ein Schauspiel! Sein Schüler mag „den super Schmäh“ des TV-Stars und sein enormes Fachwissen. Das strebt auch der junge Roland an; es wird ihm später enorm hilfreich sein. 2014 übernimmt er den „Friedensrichter“, renoviert ihn ganz behutsam und stellt die bereits erwähnte Registrierkasse in einen der Speisesäle: Es ist die seiner Oma aus dem Brückenbeisl.
In jüngerer Zeit kann es allerdings vorkommen, dass Roland Trappmaier die Küche für ein paar Tage einem Vertreter übergibt. Dann hat er nicht mit Friedensrichtern zu tun, sondern am Rande auch mit Schiedsrichtern. Das Geheimnis lüftet seine blaue Kochjacke: Dort ist unter seinem gestickten Namen das Logo des ÖFB aufgenäht. Seit 2019 ist er nämlich Küchenchef des U21-Teams, und seit 2023 auch des Frauen-Nationalteams. Das hat er nicht zuletzt seinem ausgeprägten Ernährungswissen zu verdanken. „Da geht’s darum, ob die Spielerinnen gerade eher Kohlenhydrate oder Proteine benötigen.“ Entscheiden muss das in diesem Fall der Friedensrichter.
Am nächsten Sonntag lesen Sie: Schneyder im Landgasthaus Böhm
Der KURIER am Sonntag porträtiert künftig regelmäßig besondere Wirtshäuser – mit Fokus auf die Wirtsleute und Köche, nicht auf die Gastrokritik.
Besondere Autoren
Achim Schneyder und Klaus Kamolz, zwei renommierte Gastro-Journalisten, wechseln einander ab. Der eine wuchs in Salzburg auf, der andere unweit der italienischen Grenze in Kärnten, journalistisch groß wurden beide in Wien.
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