Vom Gebiss bis zum Rollstuhl: Das Kuriositätenkabinett des Linzer Fundservices

Tina Wastler vom Fundservice Linz im Lager
Auf dem Regal liegt ein blaues Kuvert. Plötzlich fängt der Inhalt zu vibrieren und zu klingeln an. Tina Wastler steht von ihrem Arbeitsplatz auf, drückt von außen auf das Kuvert, dann ist Ruhe. „Dieses Handy wurde heute abgegeben“, erklärt die 19-Jährige. Sie absolvierte bereits die Lehre zur Verwaltungsassistentin im Fundservice der Stadt Linz, nun ist sie Hauptmitarbeiterin.
Szenen wie diese spielen sich regelmäßig in den Räumlichkeiten ab. Dort, wo die abgegebenen Mobiltelefone verwahrt sind, bimmelt und klingelt es immer wieder, Wecker gehen an und müssen wieder ausgeschaltet werden.
Überhaupt ist das Fundservice im Neuen Rathaus in Linz ein Sammelsurium an Alltagsgegenständen. Was in der Stadt und in den Öffis gefunden wird, kommt hierher. Da sind durchaus Skurrilitäten dabei:
Schlüssel, Schirme, Geldtaschen, Brillen und eben Mobiltelefone sind die Klassiker. Rund drei Werktage dauert es, bis ein Gegenstand von Bim oder Bus im Fundbüro landet.
Wer die Schubladen aufmacht, findet akribische Beschriftungen nach Monaten. Wenn hier nicht Ordnung gehalten wird, geht die Übersicht in der Flut der Dinge sehr schnell verloren.
„Unsere Hauptarbeit ist die Fundeingabe“, erklärt Wastler. Jeder Gegenstand wird mit genauer Beschreibung ins System eingetragen und bekommt einen Barcode. So kann jederzeit geschaut werden, wie lange die Funde schon im Haus sind und was ausgemistet werden kann.
Beschreibung, bitte!
Wer zur Abholung kommt, wird genauer befragt zu den spezifischen Eigenschaften jenes Gegenstands, den er oder sie angibt, verloren zu haben. Bei Schlüsseln muss ein Zweitschlüssel vorgezeigt werden. Es ist übrigens auch möglich, online nach verlorenen Sachen zu suchen und eine Art Verlustanzeige aufzugeben.

Das, was die Mitarbeiterinnen machen, ist teils also auch Detektivarbeit: Bei Mobiltelefonen machen sie über die Infos auf der SIM-Karte eine Anfrage beim Betreiber. Bekommen sie die Daten, wird der oder die Glückliche informiert und kann das Gerät holen. Ähnliches passiert mit Ausweisen: Es wird eine Abfrage im zentralen Melderegister gemacht und die Person verständigt.
Emotional & dankbar
„Die Menschen reagieren dankbar und freuen sich sehr über den Fund.“ So auch Familie B., die von einem Mobiltelefon berichtet, das der Sohn verloren hat. „Wir konnten es kaum glauben, als uns ein Brief erreichte, der uns über den Fund des Gerätes informierte“. Da sei es nicht mal so sehr um den materiellen Wert, sondern um den Aufwand, der mit einer Neuanschaffung kommt, gegangen: „Der blieb uns durch das Engagement des Fundbüros erspart.“

An Skurrilitäten hat Tina Wastler bereits einiges gesehen: Fernseher, Kinderwagen, Golfschläger, Rollstühle, sogar Gebisse und ein Sauerstoffgerät wurden schon abgegeben. „Manchmal ist die Arbeit ekelig. Alle Rucksäcke, die eintrudeln, müssen geöffnet und der Inhalt überprüft werden.“ Lebensmittel werden sofort weggeschmissen. Manchmal kommen blutverschmierte Kleidungsstücke, „wir arbeiten also viel mit Handschuhen.“

Im Laufe der vergangenen Jahre habe sich verändert, dass die Gegenstände für die Menschen offenbar weniger Wertigkeit haben: „Es bleiben viele Dinge liegen, die niemand sucht oder abholt.“
Bilanz
Im Jahr 2024 wurden 11.806 Fundstücke beim Fundservice in Linz abgegeben. 5464 Sachen wurden abgeholt, 6342 Gegenstände warten derzeit noch auf ihre Besitzerinnen und Besitzer. Wertvollere Funde werden vom Fundbüro selbst verwertet, zum Beispiel Schmuck über das Dorotheum. Für Fahrräder wird alle zwei Jahre ein Abverkauf organisiert.
Spende
Möchten die Finder die Gegenstände nach Ablauf der Frist nicht abholen (144 Mal war das 2024 sehr wohl der Fall), werden sie an die gemeinnützigen Organisationen Volkshilfe, ARGE Trödlerladen und Caritas gespendet.
Wie lange?
Für gefundene Gegenstände gibt es Aufbewahrungsfristen: Alles mit einem geschätzten Wert von über 100 Euro muss ein Jahr lang aufgehoben werden, unter 100 Euro ein halbes Jahr. Was auf einen Wert von unter 5 Euro geschätzt wird, kann nach zwei Wochen entsorgt werden.
Wer darf?
Wer etwas findet und das beim Fundservice abgibt, kann seine Daten hinterlegen. Findet keine Abholung des Besitzers innerhalb der Frist statt, wird der Finder verständigt und bekommt den Gegenstand geschenkt.
Was die Arbeit im Fundservice mit Tina Wastler macht, erklärt die junge Frau so: „Bevor ich aus der Straßenbahn aussteige, schaue ich immer ganz genau, ob ich nichts vergessen habe.“ Auch im Freundeskreis sei sie erste Ansprechperson bei Verlusten aller Art.
Im Radlager
Ortswechsel: Im Keller des neuen Rathauses versteckt sich das „Lager“. Tina Wastler öffnet die Tür und gibt den Blick auf unzählige Fahrräder frei. Eng geschlichtet stehen die Drahtesel in Reihen, hängen an den Wänden und warten auf bessere Zeiten. Die kommen entweder, wenn sich der Besitzer meldet, wenn der Finder nach einem Jahr Anspruch anmeldet oder wenn sich beim Flohmarkt jemand über ein Schnäppchen freut.
E-Bikes werden extra gelagert, sie müssen aufgrund der Akkus unter einer Sprinkleranlage stehen.
Alles, was nach zwei Wochen noch immer da ist, wandert vom Erd- ins Untergeschoß. „Wir haben auch Stammkunden. Das sind Menschen, die ständig was bringen und hoffen, dass es nicht abgeholt wird“, schmunzelt die 19-Jährige.
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