Flüchtlingskrise: Als der KURIER Informant und Vermittler wurde

Eine Menschenmenge mit einer EU-Flagge demonstriert auf einer Straße.
Beginn der Flüchtlingswelle: Polizei und Politik waren falsch informiert, Belagerungszustand auf der Autobahn.

Die Verhandlungen zwischen der Flüchtlingskolonne, die Dutzende Kilometer auf der Autobahn Richtung Österreich marschiert war, und der ungarischen Polizei standen Anfang September 2015 an der Kippe. Rund 5.000 Flüchtlinge hatten eine Autobahnabfahrt besetzt und wollten dort campieren. Manche waren mit Rollstühlen unterwegs, andere mit Krücken und einige sogar barfuß. Es war ein verzweifelter Haufen.

Im Hintergrund gab es hektische Telefonate, etwa zwischen Bundeskanzler Werner Faymann und Angela Merkel. Allen war klar, wenn der erste Flüchtlingszug durchgewunken wird, werden viele folgen. Fast niemand wusste damals, wie viele Menschen tatsächlich unterwegs waren. Die Polizei rechnete mit 500 bis 800 Flüchtlingen, diese Zahl war offenbar auch der Politik genannt worden.

Chaos und Ungewissheit

Als grünes Licht von der österreichischen (und deutschen) Regierung kam, wollte die ungarische Polizei Reisebusse herbeischaffen, um die 5.000 Flüchtlinge rasch nach Nickelsdorf zu transportieren. Doch am Tag zuvor war einem anderen Zug Ähnliches versprochen worden, stattdessen ging es aber in ein chaotisches Flüchtlingslager.

Unter den Flüchtlingen hatte sich eine Gruppe gebildet, die sozusagen die Rädelsführer des Zuges waren: Sie stammten aus dem Irak, Syrien oder Kurdistan. Pläne für eine Flucht vor den Bussen wurden besprochen. Der KURIER dürfte als einziges Medium dabei sein. Der kurdische Anführer Ayaz Morad schlug vor, dass er mit einer kleinen Gruppe mit den ersten Bussen vorausfährt und das zweiköpfige KURIER-Team diese begleitet.
 

Würde er sich nicht melden, stünden die Reporter den Zurückgebliebenen als Informanten zur Verfügung und würden alles erklären können. Doch diesmal fuhren die Busse wirklich bis kurz vor die Grenze. Morad überquerte gemeinsam mit seinem Cousin Khaled (und dem KURIER) schließlich die österreichische Grenze. Die ersten Worte des ersten Flüchtlings dieser Art in Österreich lauteten kurz nach Mitternacht: „Freiheit!“

Den ersten Grenzpolizisten mussten die Flüchtlinge erst suchen. Zwei Beamte warteten in einem Zelt mit warmer Suppe auf rund 500 Neuankömmlinge. Die von den zwei KURIER-Reportern genannten 5.000 wollten sie nicht glauben und riefen ihre Vorgesetzten.

Mitten in der Nacht stand der damalige burgenländische Polizeidirektor Hans Peter Doskozil im Zelt und ließ sich vom KURIER die Details schildern. Die Polizei hatte keine Warnung von ihren ungarischen Kollegen bekommen, was da auf sie zukommt.

Und das alles war erst der Beginn. Bis zu zwei Millionen weitere Menschen kamen auf diese Weise nach Europa.

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