Mit zugeschnürter Kehle
Rund 800 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind derzeit in Bundesbetreuung. Egal ob in der Menschenrechtskonvention oder im Regierungsprogramm: Überall findet sich der Passus, dass sie bereits ab dem ersten Tag das Recht haben sollen, von einer erwachsenen Person punkto Gesundheit, persönliche Entwicklung, Schule und Asylverfahren betreut zu werden.
Kein Kind, das Jutta Lang und Wolfgang Salm von der NGO Fairness-Asyl in Traiskirchen ansprechen, weiß, dass es dafür einen Obsorgeantrag stellen muss. „Man hat die Kinder von ihren Rechten im Lager nicht oder nicht mit dem notwendigen Nachdruck informiert und auch keinen Antrag für sie gestellt“, ärgert sich Helfer Salm.
Auch in anderen Lagern wird Menschen, die selbst um Asyl in Österreich angesucht haben und jederzeit in ein anderes Bundesland verlegt werden können, angeboten, für ein paar Euro Taschengeld stundenweise als „Ersatz-Eltern“ zu agieren. Für Wolfgang Salm ist das „eindeutig ein Abschieben der für den Staat gesetzlich vorgeschriebenen Aufsichtspflicht“.
In einem Stand vor dem Lagereingang versucht er mit Mitstreitern die Kinder und Jugendlichen zu informieren. Mit dem unguten Gefühl, wie ein Keiler zu agieren. Und mit zugeschnürter Kehle, wenn er das Alter der Kinder erfährt.
Mithilfe der Caritas, der Diakonie und Tralalobe bietet die Initiative Gemeinsam für Kinderrechte eigene Rechtsberatung für die Minderjährigen von Traiskirchen an. Immerhin fünfzig Kindern, die im Lager untergebracht sind, konnte man an sechs Nachmittagen helfen.
Für die meisten wurde ein Obsorgeantrag gestellt. Wird dieser angenommen, müssten die Landesbehörden den Kindern eine erwachsene Betreuungsperson zur Seite stellen. Die Forderung der Hilfsorganisationen an die Politik ist klar: „Setzt endlich euer Regierungsprogramm um.“
Unschöne Szenen spielen sich an diesem bitterkalten Nachmittag indes am Eingang des Traiskirchener Lagers ab: So wird ein 16-jähriger Syrer, der den Asylantrag längst gestellt hat, von einem Mitarbeiter des privaten Sicherheitsdienstes im Handumdrehen weggeschickt – mit dem Hinweis, er möge morgen am Vormittag wiederkommen.
Ungewisser Verbleib
Jutta Lang, die sich ebenfalls ehrenamtlich für Fairness-Asyl engagiert, fehlen dafür die Worte. Doch der junge Mann hat Glück: Nach zig Telefonaten und zwei Stunden bangem Warten gelingt es, für ihn einen Schlafplatz in Traiskirchen zu organisieren. Die Helferin will sich nicht ausmalen, wo der 16-Jährige übernachtet hätte.
Sie zitiert dazu die Antwort des Innenministeriums auf eine parlamentarische Anfrage der Neos, wonach der Verbleib von 11.600 Kindern, die im Jahr 2022 einen Asylantrag gestellt haben, für die Behörden ungewiss sei.
„Wir wissen inzwischen auch von Kindern“, fügt Lang hinzu, „die tot aufgefunden wurden – mit deutlich weniger Organen im Körper.“
Übrigens: „Ersatz-Vater“ Abdul sollte entlastet werden. Er wird am kommenden Montag von Traiskirchen in ein anderes Lager verlegt.
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