Energiewende: Die Lärmschutzwand, die drei Probleme löst
Er klingt nach einem Satz, der zu groß ist, um wahr zu sein: „Die Lösung für die Energiewende liegt bereits da, wo niemand hinschaut – entlang unserer Straßen.“
Wenn Martin Wakonig davon spricht, klingt es nicht wie Vision, sondern wie Pragmatismus. Wakonig ist Architekt. Seit Jahren gestaltet er im Auftrag der ASFINAG Lärmschutzwände entlang österreichischer Autobahnen.
Irgendwann stellte er sich die einfache Frage: Warum nutzen wir diese gigantischen, ohnehin vorhandenen Flächen nicht, um Strom zu erzeugen? Statt die Landschaft mit neuen Solarparks zuzubauen – und wertvolles Ackerland zu verlieren – könnte man die Energie dort gewinnen, wo schon alles versiegelt ist.
„Jeder Quadratmeter, der Strom erzeugt, ist ein Quadratmeter, der nicht versiegelt werden muss“, sagt Wakonig, „Und Lärmschutzwände stehen dort, wo Menschen wohnen. Warum nicht genau dort auch Energie produzieren?“
Den Lärm schlucken
Seine Antwort wurde ein Patent, inzwischen in Europa, den USA, China und Australien bestätigt. Der Name seines Systems: Sunwall. Das ist keine gewöhnliche Photovoltaik auf einer Wand. Denn übliche PV-Lärmschutzwände sind schallhart, sie reflektieren den Lärm, statt ihn zu schlucken, und können daher nur in Ausnahmefällen gebaut werden.
Wakonigs System ist anders: Die PV-Module sind so integriert, dass die Wand über ihre gesamte Höhe schallabsorbierend bleibt und gleichzeitig so viel Strom wie ein Solarpark im Freiland erzeugt. Das Material besteht aus Holzbeton, der Korpus nimmt den Schall auf, die Glas-Glas-Module liefern Strom – eine Doppelnutzung derselben Fläche.
In Tests, erzählt der Architekt, erreichte die Wand Schallabsorption auf dem Niveau üblicher Lärmschutzwände, ohne Effizienzverlust bei der Sonnenenergie: „In unsere realisierten Projekte haben wir gezeigt: Lärmschutz muss nicht hässlich sein. Und jetzt wollen wir zeigen, dass Energiegewinnung nicht auf Kosten der Landschaft geschehen muss.“
Insgesamt gibt es laut Asfinag knapp fünf Quadratkilometer Lärmschutzwände mit einer Länge von 1.400 Kilometern.
Bei den ÖBB sind es 900 Kilometer Schutz.
Die Lärmgrenzwerte liegen bei 60 Dezibel am Tag und 50 Dezibel in der Nacht.
Laut Energieplan werden bis 2040 17 TWh Photovoltaik benötigt.
Die PV-Module stammen von österreichischen Herstellern, der Holzbeton aus heimischer Produktion. Sunwall wird in Österreich produziert – und ist ausschreibungsfähig. Das heißt: Jeder lizenzierte Hersteller kann das System bauen. Und davon gibt es bereits einige.
Allein entlang von Autobahnen und Bahnstrecken in Österreich liegt laut Berechnung seines Teams ein PV-Potenzial von 33 Terawattstunden jährlich. Zum Vergleich: Das entspricht in etwa dem gesamten zusätzlichen Strombedarf bis 2040, wenn Österreichs Auto- und Lkw-Verkehr vollständig elektrisch würde.
Wand finanziert sich selbst
Denn Österreich müsste zur Erreichung seiner Klimaziele bis 2030 eigentlich etwa 91 km² PV-Freiflächen bauen. Das Ziel der Regierung lautet aber maximal 2,5 Hektar Bodenverbrauch pro Tag – für alle Bauvorhaben. Also würde nur der Bau von PV-Freiflächen dieses Ziel übertreffen. Wakonigs System umgeht dieses Dilemma. Keine Neubauten, kein Flächenverbrauch, kein Widmungsverfahren.
Die Wand finanziert sich durch Stromverkauf praktisch selbst, erklärt der Architekt. Die Stromerzeugungskosten liegen laut Wakonig bei 2 bis 4 Cent pro kWh – inklusive der Lärmschutzwand.
Gemeinsam mit einem privaten Autobahnbetreiber wird in Niederösterreich derzeit Österreichs erster vertikaler Solarpark realisiert– gefördert vom Klima- und Energiefonds. Auf einer Länge von 800 Metern sollen die Module mehr als fünf Megawatt-Peak Leistung schaffen und damit Strom für etwa 16.000 Haushalte erzeugen.
Die Projektkosten liegen bei 7,5 Millionen Euro, der Klimafonds fördert das mit 2,6 Millionen Euro. Der erzeugte Strom soll direkt vor Ort verwendet werden – bei Ladestationen für E-Pkw und später auch für E-Lkw. Oder für Energiegemeinschaften beziehungsweise direkt für Abnehmer an oder neben der Autobahn. Eine Speicherlösung puffert Tageserträge und entlastet so das Stromnetz. Baubeginn ist für das Frühjahr 2026 geplant.
Warum steht das dann nicht schon überall? Wakonig lächelt, wenn man ihn das fragt. Technisch sei alles klar, sagt er. Das Problem liege nicht bei Physik oder Wirtschaftlichkeit, sondern in Strukturen: Wer fühlt sich zuständig – Energiewirtschaft, Verkehr, Gemeinden?
Im Gespräch formuliert er es vorsichtig: „Es gibt sehr viel Zustimmung – aber niemand hat das Thema in seinem Zuständigkeitsbereich.“ Sowohl die ÖBB als auch die ASFINAG zeigen inzwischen Interesse. Ein zweites Projekt an einer Grenzbrücke in Kärnten ist bereits geplant. Sunwall könnte in Österreich entstehen – und dann exportiert werden. In Länder, die vor dem gleichen Problem stehen: Energiebedarf, Flächenkonflikte, Lärm.
Wakonig betrachtet das Projekt nicht als Nischentechnik, sondern als Beitrag zur globalen Energiewende: „Wir müssen nicht mehr versiegeln. Wir haben die Fläche bereits gebaut. Wir müssen sie nur nutzen.“ Und wenn dieser Lärmschutz den produzierten Strom verkauft, wird aus einer Kostenstelle plötzlich ein Geschäftsmodell für die Öffentlichkeit.
Vielleicht ist die Energiewende doch nicht die große, komplizierte Sache. Vielleicht ist sie eine Wand, die Strom produziert und den Verkehrslärm noch dazu leiser macht.
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