Ein Leben als U-Boot: Häftling nach zehnjähriger Flucht gefasst

THEMENBILD-PAKET: JUSTIZANSTALT / STRAFVOLLZUG / MASSNAHMENVOLLZUG
Der Häftling hätte nur noch eine Woche abzusitzen gehabt. Jeden vierten Tag flüchtet ein Insasse aus der Haft – 80 Prozent kehren jedoch bald zurück oder werden gefasst.

Gerade einmal neun Monate musste ein 31-jähriger Mann aus Gambia vor zehn Jahren wegen schwerer Körperverletzung und Sachbeschädigung in der Justizanstalt Feldkirch verbüßen. Er galt als ungefährlich und durfte deswegen auch die Anstalt auf eigenes Ansuchen kurzzeitig verlassen. Von seinem letzten Ausgang kehrte er aber nie zurück.

Seit diesem Tag – dem 9. Dezember 2013 – fehlte jede Spur des Straftäters. Bis zum vergangenen Wochenende. „Im Zuge eines Streits kontrollierten Polizisten den Mann in Linz und stellten fest, dass es sich um den Gesuchten handelt“, bestätigt eine Polizeisprecherin. Zehn Jahre lang hatte der Mann als U-Boot gelebt und sich zwischenzeitlich auch nach Spanien abgesetzt. Noch am Wochenende wurde der 31-Jährige wieder nach Feldkirch in die Justizanstalt (JA) gebracht.

Dass Häftlinge vor allem den Ausgang nutzen, um zu flüchten, ist keine Ausnahme, wie ein Blick in die Statistik zeigt.

Der letzte Ausgang

Im Jahr 2022 flüchteten 82 Personen aus Haftanstalten, 65 während des Ausgangs. Einer Flucht ist laut Gesetz grundsätzlich „die schuldhafte, unerlaubte dauerhafte oder vorübergehende Entziehung aus dem Strafvollzug“.

Neben den Personen, die während des Ausgangs flüchten, unterscheidet man noch zwei weitere Kategorien der Flucht: Ausbruch und Entweichung. „Unter einem Ausbruch versteht man eine Flucht aus einem geschlossenen Bereich der Justizanstalt“, erklärt Sina Bründler, Sprecherin des Justizministeriums (BMJ).

Ein Leben als U-Boot: Häftling nach zehnjähriger Flucht gefasst

Entweichung beschreibt die Flucht aus einem bewachten, aber nicht geschlossenen Areal. „Alle Personen, die länger als acht Tage abwesend sind, gelten grundsätzlich als flüchtig“, sagt Bründler. Die Zahl der entflohenen Häftlinge stieg zuletzt wieder an: 2021 verzeichnete das Justizministerium 77 Flüchtige, im vergangenen Jahr waren es 82. Von diesen insgesamt 159 Insassen befinden derzeit noch 24 auf der Flucht.

Ganz verhindern lassen sich Fluchten aus Gefängnissen nie, auch wenn sie in Österreich vergleichsweise selten passieren. „Trotz verstärktem Einsatz der Justizwachebeamten, technischen Sicherheitseinrichtungen wie Kameraüberwachung und strenger Vorschriften bezüglich der Haftraumkontrollen, können Fluchtversuche oder Fluchtvorbereitungen von Insassen nicht ausgeschlossen werden“, sagt Brigadier Martin Saam, der im Justizministerium für Sicherheit im Strafvollzug zuständig ist.

Aus seiner Erfahrung wisse er, dass die Entscheidung zur Flucht für Insassen eine „große Herausforde-rung“ sei. „Es hat schon Fluchtversuche gegeben, da hatte der Betroffene nur noch wenige Tage bis zur Entlassung abzusitzen“, erzählt Saam. Für Außenstehende seien besonders solche Fälle schwer nachzuvollziehen. Warum flüchten, wenn die Freiheit zum Greifen nah ist?

„Die Auslöser für Fluchten liegen meistens im persönlichen Bereich der Gefängnisinsassen. Wenn sich zum Beispiel der Lebenspartner trennt, kann das durchaus zu Kurzschlussreaktionen führen“, erklärt Saam. Auch der Kontakt zum sozialen Umfeld sei sehr wichtig. „Wenn ein Familienmitglied zum Beispiel den Briefverkehr einstellt, kann sich das negativ auf den Gefängnisinsassen auswirken“, berichtet der Brigadier.

Ausbruch ist straffrei

Wer aus dem Gefängnis ausbricht, macht sich in Österreich nicht strafbar. Das mag überraschend klingen, basiert aber auf einer rechtlichen Grundlage: Der Freiheit der Person. Mit einer Flucht können aber andere Delikte einhergehen, sei es Sachbeschädigung aufgrund einer aufgebrochenen Tür oder Körperverletzung, wenn ein Justizwachebeamter niedergeschlagen wird.

Da eine Flucht laut Strafvollzugsgesetz zudem eine Ordnungswidrigkeit darstellt, kann die zuständige Justizanstalt durchaus verschiedene Maßnahmen setzen, wie Hausarrest, Geldbuße oder Beschränkung von Fernsehempfang.

Auch dem 31-jährigen Mann aus Gambia könnten ähnliche Sanktionen drohen. Allzu sehr dürften diese dem Straftäter aber nicht zusetzen: Seine Haftstrafe beträgt nur noch sieben Tage; er wird am 31. März regulär entlassen. Warum er diese lapidare Strafe nicht schon vor zehn Jahren absaß, kann wohl nur der 31-Jährige selbst beantworten.

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