Diagnose "entwicklungsverzögert": Wie Familie Knaack den Alltag meistert

Diagnose "entwicklungsverzögert": Wie Familie Knaack den Alltag meistert
Paare, die ein behindertes Kind bekommen, stehen vor großen Herausforderungen. Familie Knaack hat drei Töchter, zwei davon sind beeinträchtigt. Woran sie leiden, wissen die Eltern bis heute nicht.

Eine Pampers-Schachtel liegt auf dem Boden, ein Paar Kinderschuhe wurde im Wohnzimmer vergessen. Beim Blick in die lichtdurchflutete Wohnung in Wien deutet nichts darauf hin, dass Familie Knaack im Alltag mehr Herausforderungen zu meistern hat als andere Paare. 

Zwei ihrer drei Töchter sind beeinträchtigt. „Entwicklungsverzögert“, sagten die Ärzte bei der Geburt von Timea und Laura.

„Wir haben bei unseren Kindern mit Behinderung keine Prognose bekommen, wir können nicht sagen, wie sie sich entwickeln“, sagt Ursula, die Mutter der Mädchen.

"Ich erkannte es am Lächeln"

Timea ist mittlerweile sechs Jahre alt. Krabbeln kann sie nicht. Sie hat auch Probleme, auf Gegenstände oder Personen zu zeigen – und anderen zu vermitteln, was sie will. „Dafür ist sie sehr aufgeschlossen und fühlt sich in jeder Runde wohl“, schildert ihre Mutter. 

Bei Timea sei schnell klar gewesen, dass sie anders ist, „sie ist motorisch schon sehr verzögert“. Bei ihrem zweiten Kind Laura, die nun vier Jahre alt ist, erkannte Ursula es am Lächeln. „Manche Kinder lächeln schon nach vier Wochen, bei unseren hat es Monate gedauert.“ Ob die beiden am selben Syndrom leiden, wissen ihre Eltern nicht.

Als Ursula und ihrem Mann Patrick bewusst wurde, dass sie vielleicht nie erfahren, an welchem Syndrom ihre Kinder leiden, änderte sich vieles. Besonders, was die Karriere der beiden betraf. „Wir mussten uns überlegen, was möglich ist. Das eigene Bild der Zukunft ist schließlich sehr mit dem der Kinder verknüpft.“ Und sie machten das Arbeiten möglich: Ursula und ihr Mann arbeiten beide als Chemiker, sie 20, er 40 Stunden.

"Job spielt extrem wichtige Rolle"

„Für meine Psyche spielt der Job eine wichtige Rolle. Aber natürlich stellt man sich die Frage, ob man jemals wieder Vollzeit arbeiten kann“, schildert die 38-Jährige. Es war jedoch nicht von Anfang an klar, inwieweit beide Eltern arbeiten können. Als die Familie in die Wohnung in Meidling zog, meldeten die Eltern Timea gleich für den Kindergarten in der Nähe an.

Um Hilfe ansuchen

„Erst nach und nach dämmerte uns, dass sie gar nicht in den Kindergarten gehen kann. Da hatte ich schon Angst, dass ich nie wieder in meinen Beruf zurückkehren konnte“, sagt Ursula. Die Belastung sei zu diesem Zeitpunkt groß gewesen. 

„Ich war verzweifelt und überfordert. Und in dem Moment, wo ich auch noch mit Zwillingen schwanger wurde, wusste ich, ich muss mir aktiv Hilfe holen. Zu dem Zeitpunkt wusste ich ja noch nicht einmal, dass ich noch ein behindertes Kind bekommen würde“, schildert sie.

Laut Sozialministerium besaßen in Österreich im Jänner 2021 rund 400.000 Menschen einen Behindertenpass. Um einen solchen Pass zu erhalten, muss eine Person mindestens einen Behinderungsgrad von 50 Prozent haben.

Eine Bekannte gab ihr dann den Tipp, sich an die Wiener Kinder- und Jugendhilfe (MA 11) zu wenden. „So wurde uns in kürzester Zeit eine Tagesmutter und eine ambulante Betreuung in der Familie vermittelt“, erzählt die Mutter. Es sei alles andere als selbstverständlich, so schnell Unterstützung zu finden.

 Die Betreuerin, die von der Familienbegleitung Benedictus im Auftrag der MA 11 gestellt wurde, betreute auch die beiden anderen Kinder der Familie – die Zwillinge Laura und Olivia. Zwölf Stunden pro Woche, die Ursula und Patrick für sich haben.

  • Hilfe finden betroffene Familien bei der Wiener Kinder- und Jugendhilfe unter der Telefonnummer 01/4000-8011
  • Das Therapieinstitut Keil bietet Elternberatung, (Klein-) Kindergarten und Schule für Kinder mit Beeinträchtigungen an. Informationen finden Sie unter 
    01/408-8122
  • Auch von der Caritas gibt es ein Hilfsangebot für Menschen mit Behinderung bzw. deren Angehörige unter der Telefonnummer 01/878-12332.

Ein System am Limit

Bevor die Tagesmutter ins Leben der Familie trat, seien sie ein System gewesen, das ständig am Limit war, ergänzt Vater Patrick. Betreuungseinrichtungen wie Kindergärten oder der Hort, in dem Timea nach der Schule untergebracht ist, haben nur eingeschränkte Öffnungszeiten. 

„Wir können auch nicht von unseren Eltern verlangen, sich um drei Kinder, von denen zwei behindert sind, im hohen Alter zu kümmern“, so Ursula. Gerade deshalb sei die Familienbetreuung von unschätzbarem Wert. „So konnten wir eine gewisse Resilienz entwickeln, unser System bricht nicht zusammen, wenn einer von uns krank wird“, so Ursula. Wichtig ist den Eltern auch, dass das System ohne Olivia, die dritte Tochter, läuft. „Natürlich muss Olivia mehr Verantwortung übernehmen als andere Geschwister. Unser Ziel ist aber schon ,dass Olivia nicht helfen muss, damit unsere Familie funktioniert.“

Weniger Glauben hat Ursula hingegen in das gesellschaftliche System. „Ich hoffe schon, dass meine Kinder nicht unser Leben lang davon abhängig sind, dass wir sie pflegen. Das Vertrauen zu haben, dass unser System das hergibt, fällt mir aber schwer.“

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